Wie Militär Aktuell bereits im August berichtete, nimmt die Ukraine verstärkt russische Raffinerien ins Visier. Bislang wurden mindestens 16 von 38 Anlagen getroffen, einige davon mehrfach. Diese Angriffe führten in Teilen Russlands zu Benzinknappheit, Rationierungen und Tankstellenschließungen. Sie zwangen Moskau auch, Diesel-Exporte zu reduzieren. Laut „The Telegraph” sank die Ölverarbeitung dadurch an manchen Tagen um bis zu 20 Prozent.

Die Angriffe erfolgen überwiegend mit Langstreckendrohnen, die dank US-Informationsunterstützung russische Luftabwehrsysteme umgehen können – diese stehen hier jedoch nicht im Mittelpunkt. Neu im ukrainischen Arsenal ist der Marschflugkörper FP-5 Flamingo, der am 30. August erstmals gegen FSB-Ziele nahe Armjansk auf der Krim eingesetzt wurde.

„Puffy” Neptun und Tomahawks: Neue Marschlugkörper für die Ukraine? – ©NotWoofers via X
Die russische Energieinfrastruktur wurde in den vergangenen Monaten verstärkt zum Ziel ukrainischer Angriffe.

Kommt die „puffy“ Neptun?

Der weibliche Artikel „die” ist – sowohl für „Flamingo” als auch für die neue „Neptun”-Version – zwar umgangssprachlich üblich, grammatikalisch jedoch falsch, da es sich nicht um Raketen, sondern um mit Boostern gestartete Marschflugkörper handelt. Während der Flamingo eine Reichweite von bis zu 3.000 Kilometern und eine Nutzlast von rund 1,1 Tonnen aufweist, ist das Update der R-360 Neptun ein System deutlich kürzerer Reichweite.

Am 7. Oktober stellte der ukrainische Verteidigungsminister Denys Schmyhal auf dem Stand des staatlichen Waffenportals Zbroya vor NATO-Delegationen, etwa aus dem Baltikum, eine neue Version des Neptun-Marschflugkörpers (РК-360МЦ „Нептун”) des Kiewer Herstellers Luch Design Bureau vor. Dieser Flugkörper, ursprünglich als Seezielflugkörper konzipiert, wurde 2022 durch die Versenkung des russischen Kreuzers „Moskwa” international bekannt und bislang rund 50-mal eingesetzt.

Die neue Variante – bisher ohne offizielle Bezeichnung, möglicherweise aber R-360M – erhielt aufgrund zweier blasenförmiger Rumpferweiterungen an den Seiten den Spitznamen „Chubby Neptune” oder „Puffy Neptune”. Dabei handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um konforme Treibstofftanks, die, ähnlich wie bei F-16 oder F-15E, die Kraftstoffkapazität erhöhen, ohne die Flugleistungen oder den Rumpf wesentlich zu verändern.

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Das Design lässt die Waffe „dicker” erscheinen, sie bleibt jedoch rund 4,5 Meter lang, hat einen Durchmesser von 38 Zentimeter (ohne Ausbuchtungen) und eine geschätzte Startmasse von 900 bis 950 Kilogramm. Zum Vergleich: Die Basisversion verfügt über eine Reichweite von 280 bis 300 Kilometern bei einem 150-Kilogramm-Gefechtskopf. Der im März 2025 getestete „Long Neptune” RK360L erreicht 1.000 Kilometer Reichweite bei 260 Kilogramm Sprengladung. Die neue Variante soll eine taktische Lücke schließen, um Ziele mittlerer Reichweite anzugreifen.

Ihre Konstruktion deutet auf ein Gleichgewicht zwischen Reichweite und Sprengkopfgewicht hin, mit variabler Treibstoffzuteilung für unterschiedliche Einsatzszenarien: mit Standard-Gefechtskopf auf bis zu 500 Kilometer Reichweite, oder mit schwererem 200-Kilogramm-Sprengkopf bei Standardreichweite.

„Puffy” Neptun und Tomahawks: Neue Marschlugkörper für die Ukraine? – ©Defense Express
Vergleich der verschiedenen „Neptun”-Varianten.

Laut Schmyhal sollen zudem moderne KI-Technologien und fortschrittliche Lenk- und Leitsysteme integriert worden sein, ohne dass eine Neukonstruktion oder Änderungen an den Startfahrzeugen (TEL) nötig waren.

Marschflugkörper werden bei der ukrainischen Offensive (-> Aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) gegen russische Hochwertziele bevorzugt, da leichtere Systeme – etwa aus Kleinflugzeugen abgewandelte Drohnen – zwar Brände auslösen, jedoch selten nachhaltige Zerstörung verursachen. Mit westlicher Unterstützung könnten die neuen Neptun-Versionen daher zu einer Art „günstigem Storm Shadow” werden und die militärtechnologische Position Kiews deutlich stärken.

Leistungsstärkste Fernwaffe Europas?

Oleh Katkow, Chefredakteur des ukrainischen Fachportals „Defense Express”, zieht Parallelen zwischen der größten Neptun-Version RK360L „Long Neptune” und dem einzigen vergleichbaren europäischen Marschflugkörper, dem MdCN von MBDA. Beide verfügen über eine Reichweite von rund 1.000 Kilometern. Der Gefechtskopf des MdCN wiegt laut verschiedenen Quellen 250 bis 300 Kilogramm, also in etwa so viel wie der der „Long-Neptune”.

Der MdCN basiert auf dem Storm Shadow/Scalp-EG und nutzt dessen Navigations- und Zielsysteme. Katkow weist jedoch auf einen entscheidenden Unterschied hin: „Die Neptunes sind Waffen, die von bodengestützten Abschussrampen gestartet werden. Der MdCN hingegen wird aus den vertikalen Startzellen von Kriegsschiffen abgefeuert. Um ihn auch landgestützt verwenden zu können, benötigen die Franzosen voraussichtlich noch bis 2028. Hier ist die Ukraine eindeutig früher dran.”

„Puffy” Neptun und Tomahawks: Neue Marschlugkörper für die Ukraine? – ©MBDA
Der MdCN von MBDA ist der einzig vergleichbare europäische Marschflugkörper.

Selbst in puncto Kosten und Produktionszyklen sieht Katkow Vorteile für die Ukraine. Frankreich habe laut offenen Quellen in etwa zehn Jahren rund 200 MdCN gefertigt – mit deutlich längerer Produktionszeit als beim Neptun. „Deshalb scheint mir die Schlussfolgerung, dass die Ukraine eine bessere Rakete entwickelt hat als alles, was Europa derzeit in der Langstreckenkategorie produziert, durchaus naheliegend.”

Gebaut mit und in Europa?

Wohl auch aus diesem Grund stellte der ukrainische Verteidigungsminister den neuen Flugkörper ausdrücklich als rüstungspolitisches Projekt mit Signalwirkung dar. Er bezeichnete ihn als „wichtigen Schritt nach vorn, gut geeignet für das Programm ‚Build with Ukraine’, das eine gemeinsame, erweiterte Produktion mit europäischen Partnern vorsieht.” Der „puffy” Neptun könnte somit als Sprungbrett für den Technologieexport dienen und Partner wie Litauen und Polen einbeziehen.

Allerdings gilt, wie schon beim FP-5 Flamingo: Erst Testschüsse und Einsatzberichte werden zeigen, ob die neue Version hält, was sie verspricht.

Trump enttäuscht von Putin – „Tomahawk“ in Diskussion

Die USA unterstützen die Ukraine seit einiger Zeit gezielt bei Angriffen auf russische Energieinfrastruktur. Laut einem Bericht des „Telegraph” teilen amerikanische Stellen seit Monaten Geheimdienstinformationen mit Kiew – dies bestätigten sowohl US-amerikanische als auch ukrainische Beamte. Zwar weiß die Ukraine seit Langem genau, wo sich russische Raffinerien, Pipelines und Umspannwerke befinden und was dort verarbeitet wird. Dennoch helfen US-Aufklärungsdaten, die Angriffe effizienter und präziser zu gestalten. Ziel ist es, die russische Wirtschaft zu schwächen und Kremlchef Wladimir Putin zu Verhandlungen zu zwingen.

IAI und L3 Harris: Sky Warden-Leichtangriffsflugzeuge für Israel

US-Präsident Donald Trump, der sich nach eigenen Worten „sehr enttäuscht von Putin” zeigt, hat eine deutlich härtere Linie gegenüber Moskau eingeschlagen. In einem Telefonat im Juli soll er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ermutigt haben, Angriffe auf russisches Territorium zu intensivieren. Selenskyj erklärte, Trump habe ihn gefragt, ob Kiew Moskau angreifen könne, falls die USA Langstreckenwaffen lieferten.

Bislang hat Washington jedoch keine Entscheidung über eine mögliche Lieferung solcher Waffen – konkret der Tomahawk-Marschflugkörper – getroffen. Auf dem Flug nach Israel vor wenigen Tagen sagte Trump gegenüber Journalisten: „Ich glaube nicht, dass die Russen wollen, dass diese Dinger in ihre Richtung fliegen.”

Bodengestützte Tomahawks: theoretisch möglich, praktisch schwierig

„Puffy” Neptun und Tomahawks: Neue Marschlugkörper für die Ukraine? – ©US Army
Die bodengestützten BGM-109G sind schon seit langer Zeit Geschichte.

Sollte es tatsächlich zu einer Lieferung kommen, müssten die USA landgestützte Versionen der Tomahawk bereitstellen. Nach dem INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty) von 1987 wurden jedoch sämtliche bodengestützten BGM-109G bis 1991 außer Dienst gestellt und zerstört. Eine Wiederaufnahme der Produktion, inklusive geeigneter Startfahrzeuge, wäre daher nötig.

Das heutige Tomahawk-System ist primär schiffs- und luftgestützt, was für die Ukraine kaum praktikabel wäre: Kiew verfügt über keine einsatzfähigen Kriegsschiffe und auch keine schweren Bomber wie die US-amerikanische B-52 oder russische Tu-95. Eine mögliche Lösung wäre das kürzlich auf der AUSA-Messe in den USA vorgestellte Multi-Mission Autonomous Vehicle (X-MAV) des Unternehmens Oshkosh – ein mobiles Bodenstartsystem, das auch für Tomahawks geeignet ist.

Eine ukrainische Delegation hat sich nach Angaben von „Newsweek” bereits bei mehreren US-Herstellern über entsprechende Optionen informiert.

Extreme Multi-Mission Autonomous Vehicle (X-MAV) – ©Oshkosh
Eine Startmöglichkeit könnte das neu vorgestellte Multi-Mission Autonomous Vehicle von Oshkosh Defense sein.

Gerüchte und Verschwörungserzählungen brodeln

In russischen und teils westlichen Onlinekanälen kursieren mittlerweile zahlreiche Gerüchte über die möglichen Motive hinter Trumps neuem Kurs. Zyniker behaupten, der Präsident sei keineswegs plötzlich „pro-ukrainisch” eingestellt, sondern nutze die Situation, um US-Rüstungsunternehmen, die ihm politisch oder wirtschaftlich nahestehen, durch exportfinanzierte Aufträge zu begünstigen – bezahlt von europäischen Staaten.

Am 17. Oktober empfing Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Weißen Haus . „Hauptthemen werden Luftverteidigung und unsere Fähigkeit zu Langstreckenschlägen sein, um Druck auf Russland auszuüben”, so Selenskyj im Vorfeld.

In Russland wiederum wird der angebliche „Tomahawk-Plan” als gezielte Inszenierung gewertet. Auf Kanälen wie „Kriegschronik” kursiert die Theorie, Trump und Putin hätten sich bei ihrem Treffen in Alaska heimlich auf ein Ende des Krieges geeinigt. Demnach solle der Krieg bald beendet werden – scheinbar unter russischen Bedingungen. Die „Tomahawk-Drohung” sei demnach nur ein taktischer Bluff, um Putin unter Druck zu setzen und anschließend einen „Diktatfrieden” zu inszenieren, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren könnten.

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Die Waffen würden nie geliefert, Trump ginge als „brillanter Diplomat” hervor, Putin als strategischer Gewinner. Die Ukrainer und Europäer, so diese Erzählung, blieben die Statisten einer großen geopolitischen Inszenierung.

Hier geht es zu weiteren Meldungen rund um die ukrainischen Streitkräfte.

Quelle©U24, US Army, Oshkosh Defense, NotWoofers via X, MBDA, Defense Express