Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Heinz Gärtner. Wir haben den Experten für den Mittleren Osten gefragt, welche Reformschritte von Masoud Pezeshkian, dem neuen Präsidenten Irans, zu erwarten sind und welchen Spielraum er gegenüber dem obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei hat.
Herr Gärtner, am 6. Juli wurde Masoud Pezeshkian zum neuen Präsidenten Irans gewählt. Kam die Wahl des Reformers überraschend?
Periodisch wechseln sich konservative und Reformpräsidenten ab. Diesmal wurde mit Masoud Pezeshkian ein Reformer zum iranischen Präsidenten gewählt. Er war einer von den Kandidaten, die von den 80 Bewerbern zugelassen worden waren. Drei Jahre hatte der Konservative Ebrahim Raisi regiert. Dennoch war überraschend, dass sich Pezeshkian gegen vier Konservative und Hardliner durchsetzen konnte.
Welche Gestaltungsspielräume hat Pezeshkian nun gegenüber dem obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei?
Obwohl Masoud Pezeshkian seine Loyalität gegenüber dem obersten Führer bekundete, fühlte sich dieser veranlasst, Pezeshkians Positionen während des Wahlkampfes zu kritisieren. Iran sollte sich nicht zu nah an die USA annähern und die Ziele der Revolution in Frage stellen. Dazu kommt, dass der oberste Führer vor allem in der Außenpolitik einen Rahmen vorgibt. Dazu gehört das Verhältnis zur „Achse des Widerstandes” und die Unterstützung von freundlichen Milizen in der Region.
„Masoud Pezeshkian hat Reformwillen bekundet, was etwa die Umsetzung der Kleidungsvorschriften, die größere Orientierung auf den Westen, das Verhältnis zu den Nachbarstaaten und das Nuklearprogramm betrifft.“
Was ist innenpolitisch zu erwarten? Pezeshkian lehnt ja etwa die Kopftuch-Pflicht ab, wie weit könnte einen gesellschaftliche Öffnung gehen?
Viele Iraner glauben nicht an eine Verbesserung und sind der Wahl im ersten Wahlgang ferngeblieben. Sie bezweifeln, dass auch ein Reformpräsident wirklich Veränderungen bringen könne. Tatsächlich kann ein Präsident das politische System des Iran nicht in Frage stellen. Dennoch hat es Öffnungen unter Reformpräsidenten gegeben. Masoud Pezeshkian hat Reformwillen bekundet, was etwa die Umsetzung der Kleidungsvorschriften, die größere Orientierung auf den Westen, das Verhältnis zu den Nachbarstaaten und das Nuklearprogramm betrifft. Russland und China sollen nicht mehr ausschließliche Priorität haben. Wenn Pezeshkian mutig ist, kann er einen Teil der Bevölkerung motivieren, der Reformen will und der weit über seine Wähler hinausgeht.
Innenpolitisch sind Reformpräsidenten oft mit heftigem Widerstand von den konservativen Institutionen konfrontiert. Das gewählte, aber konservativ besetzte Parlament, verabschiedet oft Gesetze, um Reformen zu behindern. Sie betreffen vor allem strengere Strafen für mangelhaftes Tragen des Kopftuches, oder auch die Behinderung der Verhandlungen über das Nuklearprogramm. Der neue Präsident kann nur einen sehr kleinen Teil von Reformen umzusetzen. Dennoch gibt es keine anderen Möglichkeiten für Veränderungen als durch Reformen von innen. Sowohl unter den Präsidenten Khatami als auch unter Rohani gab es Öffnungen im Kulturbereich und Lockerungen bei Kleidungsvorschriften.
Pezeshkian kündigte an, die Wirtschaftskrise beenden zu wollen, indem er mit dem Westen über eine Lockerung der Sanktionen verhandelt. Zeichnet sich eine Entspannung in den Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen ab?
Ebrahim Raisi hatte seine Wahlversprechen nicht umsetzen können. Das Wirtschaftswachstum stagniert, obwohl Präsident Raisi eine achtprozentige Steigerung versprochen hatte. Die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa zehn Prozent, obwohl Raisi die Schaffung einer Million Arbeitsplätze zugesagt hatte. Die Armutsrate stieg. Am meisten trifft die iranische Bevölkerung aber die konstant bei 40 Prozent liegende Inflation. Die vom Westen verhängten Sanktionen wurden ausgeweitet und haben die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Masoud Pezeshkian wird versuchen, einige Sanktionen aufzuheben. Das bedeutet eine zumindest teilweise Wiederbelebung des Nuklearabkommens. Er hat außerdem versprochen, die Wirtschaftskorruption zu bekämpfen.
Es gibt außenpolitische Gestaltungsmöglichkeiten der Präsidenten. Präsident Khatami unterbreitete Kooperationsangebote an den Westen, die allerdings von US-Präsident George W. Bush beantwortet wurden, indem er den Iran auf eine „Achse des Bösen” setzte. Präsident Rohani konnte mit dem Westen das bahnbrechende Nuklearabkommen (JCPOA) aushandeln, das von US-Präsident Trump verworfen wurde. Die Umsetzung wird aber auch vom neuen US-Präsidenten und von den Europäern abhängen.
Inwiefern kann oder will Pezeshkian eine Kursänderung in den Beziehungen zu Israel herbeiführen?
Vorerst wird sich Masoud Pezeshkian um eine weitere Verbesserung der Beziehungen mit den Golfstaaten bemühen. Wenn diese aber an der arabischen Friedensinitiative von 2002 festhalten, wonach eine Anerkennung Israels nur im Rahmen der Grenzlinien von 1967 möglich ist, wird der Iran mittelfristig nicht umhin können, sich dieser Initiative anzuschließen, um nicht isoliert zu bleiben. Dafür ist eine Amtszeit aber zu kurz.
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