Patrick Nyfeler verantwortet beim Rüstungshersteller Lockheed Martin die gesamte DACH-Region. Ein Gespräch über einen möglichen Technologiesprung für das Österreichische Bundesheer, das Ende alt-hergebrachter Kampfjet-Traditionen und den unschätzbaren Wert von „Interchangeability”.

Herr Nyfeler, dürfen wir gratulieren?
Wozu?

Zu einem erfolgreichen Geschäft. Das Bundesheer hat sich im vergangenen Sommer für den Kauf von zwölf neuen UH-60M Black Hawk-Helikoptern von Sikorsky entschieden, einer Lockheed Martin-Tochterfirma. Damit – und mit drei weiteren gebrauchten Maschinen – stockt das Bundesheer seine Flotte von aktuell neun auf dann 24 Maschinen auf.
Ja, danke, das ist natürlich eine tolle Sache und freut uns auch sehr. Die Black Hawk-Geschichte beim Bundesheer ist überhaupt eine Erfolgsstory. Österreich war Anfang der 2000er-Jahre schließlich unser erster europäischer Black Hawk-Kunde und damit ein Wegbereiter für sehr viele Länder, die sich in der Zwischenzeit auch für diesen Hubschraubertyp entschieden haben.

©Militär Aktuell

Uns würden noch zwei große S-650E-Transporthubschrauber von Sikorsky einfallen, die das Bundesheer von 1970 bis 1981 betrieben hat, viel mehr historische Beziehungen von Lockheed Martin zu Österreich gibt es nicht, oder?
Sehr prominent sind hierzulande natürlich die C-130 Hercules-Transportflugzeuge, die das Bundesheer gebraucht bei der Royal Air Force gekauft hat. Aber ja, Sie haben recht, wir können und wollen hier noch um einiges zulegen.

Patrick Nyfeler von Lockheed Martin – ©Lockheed Martin
Gesprächspartner: Patrick Nyfeler leitet seit Anfang 2024 die DACH-Region bei Lockheed Martin.

Welche Möglichkeiten sehen Sie für Lockheed Martin aktuell und zukünftig in Österreich?
Prinzipiell jede Menge, unser Produktportfolio ist ja riesig und davon könnte für Österreich sicher einiges interessant sein, wenn ich etwa nur an Javelin-Panzerabwehrraketen, unsere Radare, den F-35-Kampfjet oder HIMARS-Raketenartillerie denke. Ein weiteres interessantes Thema könnte auch der Schutz der dritten Dimension sein, also des Luftraums. Österreich ist ja bekanntlich Teil der europäischen Sky Shield Initiative und damit könnten in Österreich auch unsere leistungsfähigen PAC-3-Flugkörper ein Thema werden.

Sehen Sie einen Vorteil darin, derart viele Produkte aus einer Hand anzubieten? Oder könnte hier auch der Eindruck eines Gemischtwarenhändlers entstehen, der zwar viel, aber nicht wirklich spezialisiert anbietet?
Wir sehen darin definitiv einen Vorteil. Ganz egal, ob wir von Javelin, HIMARS oder F-35 sprechen, das sind in ihrem Bereich die jeweils besten, führenden Produkte. Dazu kommt, dass wir alle Produkte aus einem Haus anbieten, wir damit also auch die Interoperabilität sicherstellen. Die besten Systeme helfen nichts, wenn sie nicht miteinander kommunizieren und zusammen funktionieren. Wir treiben genau diese Integration von Sensoren, Plattformen und Entscheidungsträgern voran. Dazu kommt ein weiterer Vorteil unserer Produkte: die „Interchangeability”.

Was ist damit gemeint?
Unsere Produkte sind in Europa bei EU- und NATO-Ländern derart weit verbreitet, dass man im Fall einer Notsituation wesentlich leichter Munition oder Ersatzteile bekommen wird. Selbst ein großer Konflikt würde in Europa ja nicht überall gleich intensiv geführt werden, die Länder könnten sich also auch untereinander helfen und unterstützen, was bei Nischen- oder Insellösungen nicht möglich ist.

Deutschland, Schweiz & Österreich: Kooperation der Luftstreitkräfte

Die sicherheitspolitische Lage hat sich in Europa zuletzt deutlich verschlechtert, zugleich sind die Wehretats der meisten Länder gestiegen. Inwiefern hat Lockheed Martin darauf reagiert?
Wir haben natürlich unsere Produktionskapazitäten hochgefahren. Bei HIMARS beispielsweise haben wir die Produktionskapazität bis Ende 2024 nahezu verdoppelt. Ähnliche Anstrengungen unternehmen wir auch bei PAC-3 und Javelin sowie bei anderen Munitionsarten. Darüber hinaus produzieren wir nun auch vermehrt in der Region für die Region und sind wir neue Partnerschaften eingegangen. Gemeinsam mit Rheinmetall bieten wir beispielsweise das GMARS-System an, bei dem ein doppelter HIMARS-Launcher auf einem Lastwagen von Rheinmetall MAN Military Vehicles aufbaut, der in Wien produziert wird.

GMARS-Raketenwerfer von Lockheed Martin und Rheinmetall – ©Rheinmetall
Gemeinschaftsprojekt: Zusammen mit Rheinmetall hat Lockheed Martin 2024 auf der Eurosatory in Paris mit GMARS eine Weiterentwicklung seines HIMARS-Systems vorgestellt.

Kommen wir zur F-35: Zuletzt haben sich viele europäische Länder für den Kampfjet entschieden. Warum passt die F-35 möglicherweise auch für Österreich?
Weil sie der beste Kampfjet zum besten Preis ist. Die F-35 steht für einen einzigartigen Technologiesprung in die 5. Generation. Mit seiner Tarnkappentechnologie, fortschrittlichen Sensoren, Waffenkapazität und Reichweite ist die F-35 aus unserer Sicht das derzeit fähigste verfügbare Kampfflugzeug. Zudem ist die F-35 im Unterschied zu jedem Jet der 4. Generation auch eine Sensorplattform, die sehr viel weiter sieht und diese Informationen in Echtzeit sammeln – und teilen kann. Dieser Punkt ist gerade für europäische Länder sehr wichtig. In Europa ist man so nahe an der Bedrohung dran, dass man Gefahren auf Distanz entdecken muss, um sie auch erfolgreich bekämpfen zu können – und das geht mit der F-35 besser als mit allen anderen Typen. Zudem ist die F-35 ein Force Multiplier …

Sie macht also auch andere Teilstreitkräfte stärker?
Die F-35 macht aufgrund ihrer Fähigkeiten alle anderen Systeme im Gesamtsystem besser, bis hin zu Bodensystemen. Wichtig insbesondere für kleine Länder wie die Schweiz und Österreich ist, dass wir in Europa aktuell von 650 F-35 bis zum Jahr 2035 ausgehen, es also viele Möglichkeiten für gemeinsames Training und Unterhalt geben wird. Ganz entscheidend ist auch noch, dass die F-35 frisch im Lifecycle ist …

… der Erstflug fand aber auch bereits 2006 statt.
Das stimmt, die Serienproduktion läuft aber noch nicht einmal zehn Jahre und wird noch mindestens 20 Jahre laufen. Im Programm ist sogar schon die Weiterentwicklung bis 2070 geplant, was bedeutet, dass in der Zeit die Kosten für Betrieb, Upgrades und Weiterentwicklungen durch die gesamte User Community geteilt werden.

F-35-Kampfjet im Flug – ©Lockheed Martin
Von der F-35 dürften 2035 bereits 650 Maschinen bei europäischen Luftwaffen im Dienst stehen.

Allerdings wird der F-35 oft nachgesagt, trotzdem eine teure Lösung zu sein.
Gerade die sehr detaillierten Wettbewerbe in Finnland (-> Finnland entscheidet sich für die F-35) und der Schweiz (-> Schweiz unterschreibt Kauf von 36 Lockheed F-35A) haben bewiesen, dass die F-35 das leistungsfähigste Flugzeug ist, das man kaufen kann, zugleich aber auch das günstigste, wenn man Beschaffung und Betrieb auf die Lebensdauer hochrechnet.

Wird die F-35 eine Art Wandlung durchmachen müssen, vom reinen Kampfflugzeug hin zu einer Art fliegender Kommandozentrale, über die auch Loyal Wingman und autonom fliegende Sensoren gesteuert werden können?
Wandlung ist das falsche Wort, weil die F-35 von Beginn weg genau für Aufwuchs ausgelegt wurde. Man hat damals bereits gewisse Dinge antizipiert und die Plattform mit einem Wachstumspotenzial ausgestattet. Da geht es um Sensorleistung und Connectivity, aber auch um zukünftige Kriegsführung. Die F-35 soll mit unbemannten Systemen kommunizieren, interagieren und gemeinsam in den Einsatz gehen und auch darüber hinaus immer an aktuelle Entwicklungen angepasst werden und Innovationen aufnehmen können.

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Inwieweit ist für die F-35 die Topo­grafie in Österreich ein Thema?
Wer hier an das klassische Bild eines Kampfflugzeugs denkt, muss umdenken. Im Unterschied zu anderen Kampfflugzeugen kann die F-35 tief fliegen, sie muss das aber nicht, weil sie von sämtlichen Sensoren nur sehr schlecht ausgemacht werden kann – auch wenn sie hoch fliegt. Von dort hat die F-35 aber selbst den besten Blick auf das gesamte Geschehen und weit darüber hinaus. Durch neue Schnittstellen kann dabei die Formation deutlich weiter gehalten werden, der Abstand zwischen einzelnen Maschinen beträgt viele Kilometer und da die Flugzeuge Daten automatisch austauschen, decken sie blinde Flecken ab.

Lassen sich damit also auch mit weniger Stückzahlen größere Räume abdecken?
Definitiv. Die F-35 verfügt gegenüber jedem Flugzeug der 4. Generation über einen erheblich gesteigerten Kampfwert. Allein dadurch kann die F-35 mit einer verhältnismäßig kleinen Flotte deutlich mehr Leistung erbringen. Auch deshalb sind wir überzeugt davon, das leistungsfähigste Produkt zum besten Preis anbieten zu können – und ein sehr wettbewerbsfähiges Paket mit Blick auf Ausbildung und Betrieb.

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Quelle©Lockheed Martin, Rheinmetall