Vom 8. bis 10. Oktober trafen sich militärische Führungskräfte beim Theresianischen Militärakademischen Forum (TMAF) in Wiener Neustadt. Das Thema des wissenschaftlichen Symposiums lautete „Manöver-Kriegsführung und manövrierendes Vorgehen”. Bei einem im Rahmen des Symposiums durchgeführten Pressegespräch erörterte Oberst Markus Reisner, inwieweit sich die Kriegsführung mit Blick auf den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) verändert hat. Militär Aktuell war mit dabei.
Die russische Einsatzführung habe sich seit dem Kalten Krieg im Wesentlichen nicht verändert, so Reisner: „Dieselben Ausbildungsvorschriften von damals, gelten heute noch.” Die Einsatzführung sei aber an die aktuelle Situation angepasst worden. Um Mobilität zu erhöhen, setzt Russland etwa mit Motorrädern ausgestattet Sturmtrupps ein, ähnlich jener Taktik, wie sie bereits im Zweiten Weltkrieg angewandt worden war.
Der massive Einsatz von Drohnen (-> Hier geht es zum Militär Aktuell Drohnen-Schwerpunkt) habe die Kriegsführung nachhaltig verändert, so der Oberst. „Im Ersten Weltkrieg verursachten Stacheldraht und Maschinengewehr eine Pattsituation, jetzt sind es die vielen tausend Drohnen”, sagt Reisner. Am so entstandenen gläsernen Gefechtsfeld wisse man immer, wo der Gegner sich befindet. Und die Entwicklung gehe weiter. Drohnen wählen mittels KI Ziele aus und greifen diese selbständig an, unabhängig von möglichen Störungen des elektromagnetischen Feldes. Solche Drohnen werden auch gegen Soldaten eingesetzt, erläutert Reisner. Deckungen wie Schützengräben oder Granattrichter seien wirkungslos geworden: „Die Drohne sieht die Soldaten und stürzt sich in sie hinein.”
Der Krieg in der Ukraine zeige außerdem, dass man nur erfolgreich operieren könne, wenn man alle Teilstreitkräfte synchronisiert. Das sei bei der ukrainischen Sommeroffensive im Juni des vergangenen Jahres schiefgegangen, so der Oberst: „Das Fehlen von Luftstreitkräften hat die Offensive scheitern lassen.” Die erfolgreiche Synchronisation setze aber einen gewissen Ausbildungsstand und Erfahrung voraus. Aber: „70 Prozent des Kaders der ukrainischen Streitkräfte sind bereits gefallen oder verwundet”, sagt Reisner. Zwar hätten auch die Russen hohe Verluste erlitten, aber die würden das ausgleichen, indem sie mehr Personal einsetzen können.
Nicht zu unterschätzen sei die Bedeutung weitreichender Waffen. Diese Waffensysteme können aber nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie gegen Störungen im elektromagnetischen Feld abgesichert sind, so Reisner: „Zahlreiche Systeme funktionieren nicht mehr, weil sie von russischer Seite gestört werden.” So etwa der Raketenwerfer Himars. Hatte das System zunächst eine Trefferwahrscheinlichkeit von 80 bis 90 Prozent, sank diese durch russische Störsender auf 30 bis 50 Prozent. „Der sogenannte Himars-Effekt, der im Sommer 2022 wesentlich dazu beitrug, dass die Ukraine in die Offensive gehen konnte, ist mittlerweile verpufft”, sagt der Oberst. Ebenso hoch sei der Verschleiß von Drohnen durch Störsender: „Die durchschnittliche Lebensdauer einer Aufklärungsdrohne ist ein Flug.” Die Ukraine verliere im Monat 10.000 Aufklärungsdrohnen.
Auch die Fliegerabwehr gewann wieder an Bedeutung, seit sie nach Ende des Kalten Kalten abgeschafft wurde, so Reisner: „Man dachte damals, die Zukunft liegt in Aufstandsbekämpfung.” Kann man sich jedoch gegen einfliegende Raketen und Marschflugkörper nicht wehren, zerstören diese die industrielle Basis des Landes, wie es in der Ukraine geschehen ist. Bisher wurden etwa 10.000 ballistische Raketen und Marschflugkörper eingesetzt. „Diese Menge gab es in der Kriegsgeschichte noch nie”, sagt Reisner. Und Russland sorgt für Nachschub, indem es pro Monat zwischen 100 und 120 neue Raketen erzeugt: „Dürfte es nicht, kann es aber unter Umgehung der Sanktionen mit Hilfe von China, Indien und anderen Staaten.”
Nach der Analyse des Krieges auf taktischer und operationaler Ebene, beleuchtete Reisner noch kurz die strategische Ebene. Der Ukraine-Krieg zeige, dass der Krieg sich auch im Weltraum entscheide. Ohne dem von Elon Musk kontrollierten Satellitennetzwerk Starlink würde etwa die Steuerung von Drohnen nicht funktionieren. Aber auch der Cyberraum sei bedeutsam. Über ihn werde die öffentliche Meinung beeinflusst. Das wirke sich etwa auf das Wahlverhalten aus, wodurch wiederum Parteien in der EU an die Macht kommen können, die mit Moskau sympathisieren.
Abschließend erinnert Reisner daran, dass man trotz Erfolge auf taktischer und operativer Ebene auf strategischer verlieren könne. Vor allem dann, wenn man den Gegner unterschätzt. Das sei die Herausforderung, der man in der Ukraine gegenüberstehe. Nach Misserfolgen der Russen am Beginn des Krieges, wurden sie in ihrer Fähigkeit sich anzupassen unterschätzt: „Das Ergebnis sehen wir jetzt.”