Schon kurz nach der pompösen Verkündung im Oval Office – samt Superlativen durch den US-Präsidenten – ist der Boeing-Zuschlag für das NGAD-Programm nun durch neue, hochwertigere Grafiken und eine offizielle Stellungnahme der US Air Force (-> aktuelle Meldungen rund um die US-Streitkräfte) deutlich konkreter fassbar. Erste tiefere Schlussfolgerungen lassen sich ziehen. Und gleich vorweg: Die als F-47 bezeichnete Maschine dürfte kleiner ausfallen als bislang angenommen.
Klar erkennbare Boeing-DNA
Die beiden am 21. März präsentierten Airbrush-Grafiken – ausgestellt auf Staffeleien im Rahmen der offiziellen Bekanntgabe – lassen für jeden, der sich seit Jahren mit Tarnkappenflugzeugen befasst, sofort eine visuelle Verbindung erkennen: Der Entwurf trägt unverkennbare Züge eines frühen Stealth-Technologiedemonstrators von Boeing, dem „Bird of Prey”. Benannt nach dem klingonischen Kreuzer aus Star Trek, wurde das Experimentalflugzeug Ende der 1990er-Jahre entwickelt – eine Art Erbmasse aus der Übernahme von McDonnell Douglas durch Boeing im Jahr 1997.
Insbesondere die Frontalansicht mit dem flachen, breitgezogenen Rumpf und der charakteristischen Nasenpartie erinnert frappierend an den einstigen Entwurf. Der Bird of Prey flog zwischen 1996 und 1999 insgesamt 38 Mal unter der Bezeichnung YF-118G, bevor er 2002 offiziell vorgestellt und an das USAF-Museum in Dayton, Ohio, übergeben wurde – wo er bis heute ausgestellt (genauer: aufgehängt) ist.

Dem kompakten Tarnkappenflieger wird ein Radarquerschnitt nachgesagt, der so gering war, dass er zwar mit dem bloßen Auge sichtbar, aber vom damaligen Radar moderner Jagdflugzeuge nicht erfasst werden konnte – selbst aus wenigen Meilen Entfernung. Laut Begleittext im Museum lag sein RCS-Wert sogar unter jenem der heutigen F-22 – und das mit über 30 Jahre alter Stealth-Technologie. Der Bird of Prey gilt daher als technischer Wegbereiter und Inspirationsquelle für spätere – und wie sich jetzt zeigt: auch künftige – Tarnkappendesigns.
Die Nase …
… ist in Breite, Durchmesser und Querschnitt deutlich massiver als alles, was man bislang bei Jagdflugzeugen – also ausgenommen Bombern – gesehen hat. Ein solches Design entspricht auf den ersten Blick nicht den klassischen Vorgaben für einen optimierten Radarquerschnitt bei Stealth-Flugzeugen. Doch die auffällige Größe lässt auf etwas anderes schließen: Platz für Sensorik – und zwar reichlich.

Mit modernen oder künftigen AESA-Radaren, die auf Gallium-Nitrid-Technologie basieren und teils KI-gestützt arbeiten, lassen sich durch solch ein großzügiges Volumen völlig neue Leistungsdimensionen erreichen. Reichweite, Auflösung, Zielverfolgung – mit dieser „Sensornase” dürfte der F-47 viel sehen können. Denkbar ist auch, dass die komplette Nasenpartie – möglicherweise als dielektrische Verkleidung – selbst als Radar arbeitet. Im Endausbau könnten sogar weitere Außenflächen in diese Funktion eingebunden sein.
Ein weiterer spannender Aspekt des äußeren Designs: Die neuen Bilder deuten recht klar auf Canard-Vorflügel hin – und zwar nicht zu klein, mit positiver V-Stellung (nach oben ausgerichtet). Das ist bemerkenswert, denn Canards gelten aus Stealth-Sicht eher als problematisch. Ihre Integration könnte jedoch mit einer anderen Boeing-Beteiligung zu tun haben: dem parallelen F/A-XX-Projekt für die US Navy, bei dem ebenfalls noch in diesem Jahr eine Entscheidung erwartet wird. Für den trägergestützten Kampfjet wären zusätzliche Auftriebshilfen – wie Canards – durchaus plausibel.
Aber auch bei der F-47 zeigen die Haupttragflächen in der Frontansicht eine positive V-Stellung, ähnlich wie beim Bird of Prey vor rund 25 Jahren. Die Boeing-DNA bleibt also nicht nur bei der Silhouette spürbar, sondern auch im aerodynamischen Detail.
Next-Generation-Triebwerk
Zum Antrieb der F-47 wurde im Oval Office erwartungsgemäß kein Wort verloren. Doch es gilt als nahezu sicher, dass die Maschine mit einem Triebwerk aus dem „Adaptive Engine Transition Program” (AETP) ausgestattet wird – jenem US-Entwicklungsprogramm für Antriebssysteme der nächsten Generation. Sowohl General Electric (XA100/XA102) als auch Pratt & Whitney (XA103) haben dort in den vergangenen Jahren adaptive Triebwerke zur Testreife gebracht. Für die F-35 Block 4 von Lockheed Martin waren sie zu spät serienreif – für das NGAD hingegen dürften sie gesetzt sein.
Das Besondere: Diese Triebwerke erzeugen im Prinzip einen dritten Luftstrom – besser gesagt: einen variablen zweiten Bypass-Strom –, der bei Marschflug zugeschaltet werden kann. Ergebnis ist eine signifikante Effizienzsteigerung, also mehr Reichweite bei gleichem Treibstoffverbrauch – ein entscheidender Vorteil im Hinblick auf Pazifik-Szenarien mit weiten Einsatzradien.

Gleichzeitig könnte dieser zusätzliche Luftstrom zur Kühlung der zunehmend energieintensiven Bordelektronik genutzt werden. Denn klassische Lufteinlässe zur Kühlung lassen sich aus Stealth-Gründen kaum integrieren. Bei Bedarf – etwa beim schnellen Anflug auf ein Ziel oder zum Ausweichen – wird der variable Bypass deaktiviert: Dann arbeitet das Triebwerk wieder wie ein klassischer Turbojet mit maximaler Schubleistung. Oder, wie es ein Technologe einmal formulierte: „Ein Turbofan für den Weg – ein Turbojet für den Kampf.”
In der Größe eher F-22 als J-36
Diese Kombination aus Schubkraft und Effizienz könnte erklären, warum die F-47 überraschend kompakt ausfällt – zumindest gemessen an anderen Entwürfen der 6. Generation. Europäische Konzepte wie GCAP (-> GCAP-Projekt auf Schiene) und FCAS, oder auch Chinas dreistrahliger Stealth-Jet (-> Gewinnt China das Rennen um die 6.-Kampfjet-Generation?), erscheinen im Vergleich als regelrechte Giganten mit Spannweiten von teils über 20 Metern und Längen von bis zu 30 Metern.
Die F-47 hingegen dürfte sich größenmäßig eher an der F-22 orientieren – oder sogar darunter liegen. Ein interessanter Hinweis darauf findet sich in einem kleinen Detail auf dem Renderbild im Oval Office: Das Bugfahrwerk ist einrädrig und ausgesprochen kompakt. Selbst Präsident Trump machte dazu einen scherzhaften Kommentar. Im Gegensatz zum aufwendig mehrbereiften Bugfahrwerk der chinesischen J-36 spricht das eher gegen ein schweres Luftfahrzeug.

Noch vor wenigen Jahren deutete vieles darauf hin, dass die US-Luftwaffe ein größeres, schwereres Plattformkonzept für das NGAD bevorzugte. Doch spätestens seit Will Roper, damaliger Chef der Rüstungsbeschaffung der USAF, im Jahr 2020 öffentlich von einem kleineren, F-35-großen Design sprach, hat sich das Bild verschoben. Und womöglich ist genau das nun Realität geworden – zumindest wenn man den aktuellen Grafiken Glauben schenken darf.
Reichweite statt Größe – ein Systemansatz
Zwischenzeitlich hatte die US Air Force sogar ein alternatives Konzept in Erwägung gezogen: Was wäre, wenn man statt eines großen Kampfjets lieber einen großen Stealth-Tanker hätte? Die Idee: Ein solcher Tanker – im Rahmen des geplanten „Next-Generation Air Refueling System” (NGAS, -> Jetzero und Northrop Grumman bauen Mega-Transport-und-Tank-Nurflügler) – könnte tief im umkämpften Luftraum operieren und so regelmäßig Treibstoff bereitstellen. Dadurch müsste der NGAD-Jet selbst weniger Treibstoff mitführen und könnte kleiner gebaut werden. Ein Rückflug zur Basis wäre nicht zwingend nötig – ein kurzes Auftanken beim Stealth-Tanker würde genügen.
Doch diese Überlegungen wurden wieder verworfen. Das Air Force-Kommando kam letztlich zu dem Schluss, dass ein solches NGAS zwar technisch machbar, aber zu teuer und – trotz Tarnung – weiterhin ein verwundbarer „Force Multiplier” sei. Die Idee verschwand in der Schublade.
Ein kleinerer Jet mit größerem Einsatzradius?
Gleichzeitig machte der heutige Air Force Chief of Staff, General David Allvin, deutlich: Die F-47 werde eine signifikant größeren Einsatzradius als heutige Jets der 5. Generation haben – trotz kompakterer Auslegung. Aber wie soll das funktionieren, wenn selbst die Einsatzradien moderner Stealth-Jets wie F-22 oder F-35 nur bei 600 bis 900 Kilometern liegen?
Die Antwort beginnt beim Triebwerk: Die Hersteller der adaptiven Antriebe – GE (XA102) und Pratt & Whitney (XA103) – sprechen von mindestens 25 Prozent weniger Treibstoffverbrauch bei gleichzeitig höherer Leistung. Das allein würde bereits die Reichweite deutlich steigern.
Doch es steckt noch mehr dahinter: Die Struktur der F-47 könnte so gedacht sein, dass sie nicht auf jahrzehntelangen Betrieb ausgelegt ist – sondern auf eine begrenzte Lebensdauer. Die Idee stammt aus der Zeit von Will Roper, damaliger Chef der Beschaffung in der Trump-I-Ära. Er setzte auf iterative, schnell erneuerbare Designs statt auf überteuerte Einzelentwicklungen, die über Jahrzehnte durchgeschleppt werden. Ergebnis: Mehr Flugzeuge zu deutlich niedrigeren Stückkosten – statt wie 2024 ein Entwicklungsstopp wegen befürchteten Stückkosten von knapp 300 Millionen Euro pro Jet.
Effizienz durch Teaming und reduziertes Waffenpaket
Ein weiterer Faktor: Der F-47 ist von Grund auf für Mensch-Maschine-Teaming konzipiert. Unterstützt durch bis zu fünf kollaborative Drohnen – mutmaßlich unter den Bezeichnungen FQ-42A und FQ-44A – muss der bemannte Jet selbst womöglich gar nicht viele Waffen tragen. Zwei bis vier AMRAAM-große Lenkwaffen (vermutlich AIM-260) könnten reichen – die Wingmen-Drohnen übernehmen den Rest.

Das bedeutet: Kleinere Waffenschächte, weniger Gewicht – und dadurch mehr Raum für internen Treibstoff. Zusammen mit neuen Fertigungstechniken wie 3D-Metalldruck, KI-gewichtsoptimierter Strukturplanung und der möglichen Nutzung nur eines adaptiven Triebwerks in bestimmten Missionsprofilen ergibt sich ein Szenario, in dem die F-47 bis zu 50 Prozent mehr Einsatzradius als eine F-35 erreichen könnte.
Schon während Trumps Amtszeit …
Wie General Allvin kürzlich bestätigte, sind in den vergangenen fünf Jahren mehrere NGAD-Demonstratoren geflogen – angeblich hunderte Male, ohne dass es an die Öffentlichkeit drang. Bereits 2020 hatte Will Roper, damaliger Beschaffungschef der USAF, erste Hinweise geliefert und dabei von „vielen Rekorden” gesprochen. Es gilt daher als sicher, dass es mindestens einen vom DARPA-nahen Aerospace Projects Office (APO) finanzierten Demonstrator gegeben hat – wohl im Rahmen der sogenannten Aerospace Innovation Initiative.
Parallel dazu gab es operationelle Prototypen der beiden konkurrierenden Unternehmen – analog zu den YF-22/YF-23-Demonstratoren vor mehr als 30 Jahren. Das bedeutet: Die USA liegen keineswegs hinter China zurück, auch wenn die Sichtungen chinesischer Prototypen am 26. Dezember international für Aufsehen sorgten. Im Gegenteil – die F-47 hat offenbar bereits ein hohes technisches Reifestadium erreicht. Allvin versprach sogar, dass ein seriennaher Prototyp aus Boeings „Phantom Works” noch während der zweiten Amtszeit von Präsident Trump fliegen werde – also spätestens bis 2028.
Danach folgt eine Phase intensiver Tests und Verfeinerung, doch der Zeitplan scheint ambitioniert, aber realistisch: Erste Serienmaschinen könnten ab 2032 an die USAF geliefert werden, mit einer ersten Einsatzfähigkeit (IOC) um das Jahr 2035. Bis dahin dürften auch die europäischen Projekte GCAP und FCAS fliegen – ebenso wie die chinesischen J-36 und J-50 mit finaler Missionsausrüstung.
Zwei bemerkenswerte Details zum Schluss
Zum einen: Für Boeing ist der NGAD-Auftrag historisch. Es ist der erste eigene Kampfflugzeugauftrag im Jet-Zeitalter. Alle bisherigen Typen – etwa F-15, F/A-18 oder AV-8B – kamen mit der Übernahme von McDonnell Douglas im Jahr 1997 ins Haus.
Und zweitens: Die Börse reagierte prompt. Unmittelbar nach der Verkündung des milliardenschweren Zuschlags stieg der Kurs der Boeing-Aktie um 5 Prozent – ein deutliches Signal des Vertrauens, trotz der Pannenserie der vergangenen Jahre und der Ablöse von Ted Colbert als Chef der Verteidigungs- und Raumfahrtsparte im Herbst 2024. Lockheed Martin, unterlegener Bieter und weltweit größter Rüstungskonzern, musste hingegen einen Kursrückgang von rund 6 Prozent verkraften – dürfte jedoch mittelfristig als Subauftragnehmer wieder ins Projekt eingebunden werden.
Boeing wird nun seine Fertigung in St. Louis, Missouri, massiv ausbauen. Der NGAD wird in einer neuen, bereits im Bau befindlichen Werkserweiterung im Norden der Stadt produziert – nahe dem Lambert International Airport, mit einem Investitionsvolumen von rund 1,7 Milliarden Euro. Hunderte Zulieferer und hochqualifizierte Arbeitsplätze sind Teil des Vorhabens – ein Impuls für Boeings Comeback im Verteidigungssektor.
Ein letzter Seitenhieb vom Präsidenten
In einer Bemerkung, die wohl auch als Reaktion auf die wachsende Skepsis mancher US-Partner in Fragen der Versorgungssicherheit zu verstehen ist, sagte Präsident Trump am 21. März bei der Vorstellung des NGAD sinngemäß: „Unsere Verbündeten rufen ständig an – sie wollen ihn auch kaufen. Und bestimmten Verbündeten werden wir vielleicht abgeschwächte Versionen verkaufen. Wir werden sie um etwa zehn Prozent ,abschwächen’. Was wahrscheinlich Sinn macht – denn vielleicht sind sie eines Tages nicht mehr unsere Verbündeten.”
Ob der F-47 tatsächlich jemals exportiert wird, steht in den Sternen. Doch die Botschaft war klar.
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