Ein besonderes Grab auf einem Friedhof in einer Stadt im Norden Tschechiens kündet vom Leben und Sterben eines jungen Kaiserjägers, der 1916 an der Südfront als Offizier für „Kaiser, Volk und Vaterland” gefallen ist. Militär Aktuell kennt seine tragische Geschichte.
Die nordböhmische Stadt Gablonz an der Neiße (Tschechisch: Jablonec nad Nisou) blickt auf eine lange und traditionsreiche Geschichte zurück, die eng mit der Österreichs verbunden ist. Denn über Jahrhunderte war die bis 1945 überwiegend von deutschböhmischen (Alt-)Österreichern, den sogenannten Sudetendeutschen, besiedelte Stadt ein bedeutendes Zentrum der Glas- und Schmuckindustrie der österreichisch-ungarischen Monarchie.
Die begehrten Bijouterie-Produkte aus Gablonz wurden sogar mit Schiffen in alle Welt exportiert – unter anderem an Bord des 1912 in Triest vom Stapel gelaufenen Dampfers „Gablonz”, der von Triest aus vornehmlich nach Indien, Pakistan und in den fernen Osten fuhr. Die „Gablonz” gehörte dem Österreichischen Lloyd, der größten Schifffahrtsgesellschaft der Monarchie und überhaupt des Mittelmeerraumes.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der k.u.k. Monarchie führ sie für den Lloyd Triestino ab 1921 unter dem Namen „Tevere”. Ab 1940 diente sie als Lazarettschiff, lief dabei 1941 auf eine Mine und wurde schwer beschädigt. 1943 sank sie bei den Kämpfen um Tripolis. Nach dem Zweiten Weltkrieg hob man das Wrack und verschrottete es schließlich. Das Technische Museum Wien besitzt ein Modell der „Gablonz”. Doch zurück zum Protagonisten dieser Reportage, einen deutschböhmischen Kaiserjäger.
In Gablonz, dieser inmitten des Isergebirges gelegenen geschichtsträchtigen Stadt, die von Kaiser Franz Joseph dreimal durch seinen Besuch (1866, 1891 und zuletzt 1906) ausgezeichnet wurde, erblickte am 18. November 1894 ein Junge das Licht der Welt. Sein Name: Eduard Alexander Neuwinger. Wie die „Vereinigung Sudetendeutscher Familienforscher”, der der Autor zu großem Dank für die Unterstützung bei seinen Recherchen verpflichtet ist, weiß, wurde der Bub nicht im Krankenhaus, sondern, wie damals üblich, daheim geboren – im Haus mit der Nummer 846.
Der ganze Stolz einer angesehenen Försterfamilie
Zwar schenkte seine Mutter Anna noch vier weiteren Geschwistern das Leben, doch nach allen vorhandenen Chroniken dürften diese Sprösslinge der Familie bereits im Kleinkindalter verstorben sein. In dieser Zeit war die Kindersterblichkeit aufgrund der unzureichenden medizinischen Versorgung noch sehr hoch. Zahlreiche bis heute erhaltene Kindergräber auf den Friedhöfen der Region legen davon beredtes und beklemmendes Zeugnis ab. „Fest steht, dass dieser Sohn der Familie als Einzelkind aufwuchs”, erklärt Christa Schlör, Expertin für sudetendeutsche Familienforschung.
Als einziger Nachkomme einer alteingesessenen und angesehenen Försterfamilie unternahm der „Edi” genannte Bub sicherlich ausgedehnte Streifzüge durch die Wälder und auf den nahe gelegenen Jeschken (Tschechisch: Ještěd), den markanten Hausberg der Nachbarstadt Reichenberg (Tschechisch: Liberec, -> Neuauflage des Buches: „Von Reichenberg bis Sydney”), der selbst von Gablonz aus gut zu sehen ist. Seinen Wehrdienst leistete der junge Gablonzer im 1. Tiroler Kaiserjägerregiment ab, das seit dem 19. Jahrhundert in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck stationiert war.
Dort wird er mit seinen Kameraden wohl auch oftmals das 1914 von Militärkapellmeister Karl von Mühlberger komponierte Soldatenlied „Mir sein die Kaiserjager, Heeresmarsch II, 141”, heute besser bekannt unter der Kurzform „Kaiserjägermarsch”, fröhlich gesungen haben. Der markante Marsch, dessen erste Strophe (der Text ist dabei älter als die Melodie und wurde bereits 1911 von Leutnant Max Depolo verfasst) „Wir Jäger lassen schallen ein froh gewaltig Lied, und gelten soll es allen zerstreut in Nord und Süd. Im Osten und im Westen, wo uns’re Fahne weht: Wir zählen zu den Besten so lang’ die Treu’ besteht!” lautet, zählt noch heute zu den Traditionsmärschen des Österreichischen Bundesheeres und gehört zum Standardrepertoire der heimischen Militärmusikkapellen.
Als einfacher Soldat nahm „Edi” Neuwinger an den schweren Kämpfen des Ersten Weltkrieges teil und bewährte sich in manch harter Schlacht. Für seine überragende Tapferkeit im Felde wurde er schon früh ausgezeichnet.
„Laut den vorliegenden Dokumenten erfolgte die Beförderung vom Kadett zum Fähnrich im Dezember 1915. Im ,Boten für Tirol’ scheint Neuwinger am 9. Februar 1916 zum ersten Mal als ,Leutnant der Reserve’ auf”, hat der Tiroler Familienforscher Hans-Peter Haberditz herausgefunden. Haberditz befasst sich professionell mit der Ahnenforschung und ist darüber hinaus Obmann des Traditionsverbandes „Tiroler Kaiserjäger 1. Regiment, Schwaz”.
Nur wenige Monate nach seiner Beförderung zum Offizier schlug das Schicksal dann grausam zu: Am 2. Juli 1916 stürmte der Kaiserjäger aus Gablonz an der Spitze seiner Männer der 7. Kompanie erfolgreich eine italienische Stellung an der Südfront am Monte Pasubio (Italien).
Was danach geschah, schilderte ein Kamerad, Zugskommandant Fähnrich der Reserve Anton Amann, in seinem dramatischen Bericht, den er für die Nachwelt schriftlich festgehalten hat: „Die nicht zu beschreibende Freude jedes Soldaten, der in einer erstürmten Stellung steht, und die nur derjenige mitfühlen kann, der sich in der gleichen Lage befunden hat, sollte aber nicht lange währen. Wir waren wie ein Keil zu weit vorgeprellt und hingen mit beiden Flügeln in der Luft. Von allen Seiten bestrich uns italienisches Maschinengewehrfeuer und auch das Artilleriefeuer blieb nicht aus. Die wenigen Steine boten mehr moralische als wirkliche Deckung und manchen tapferen Kämpen traf ein tückisches Geschoss. Unter anderen fiel hier Lt. i. d. Res. Neuwinger. Um die Situation besser überblicken zu können, richtete er sich trotz des rasanten Feuers mehrmals auf, bis er, mitten ins Herz getroffen, zusammensank. Mit ihm verlor die Kompanie einen überaus beliebten Kameraden und das Regiment einen der tapfersten Offiziere.”
Die letzte Strophe des Kaiserjägermarsches wurde für Leutnant Neuwinger zum Schicksal: „Fällt auch mancher nieder, im Herz die Kugel brennt: Er stirbt als Kaiserjäger vom ersten Regiment!” Leutnant Neuwinger fiel nur wenige Monate vor seinem 22. Geburtstag.
Der kühne Kaiserjäger wurde posthum mit dem Orden „Signum Laudis – Für tapferes Verhalten vor dem Feinde” sowie dem „Militärverdienstkreuz 3. Klasse mit Kriegsdekoration” ausgezeichnet – sogar das angesehene „Prager Tagblatt”, die größte liberal-demokratische deutschsprachige Tageszeitung Böhmens, berichtete darüber – und zunächst auf einem lokalen Soldatenfriedhof bestattet.
Seine vom Schmerz über den Verlust des einzigen Sprosses gepeinigte Familie allerdings entschied sich, die sterblichen Überreste des geliebten Sohnes in seine böhmische Heimat überführen zu lassen, wo sie ihm ein prächtiges Grabmal errichten ließ, dessen Inschrift da unter anderem (Rechtschreibung im Original) lautet: „Im heiligen Kampf mit schimmernd blanker Wehre, Zu dem dich Treu’ und Pflicht und Recht entbot, Ward auf dem blutgedüngten Feld der Ehre, Dir für das Vaterland der Heldentot.”
Dieses Grab auf dem Gablonzer Zentralfriedhof (heute auf Tschechisch: Hlavní hřbitov Jablonec nad Nisou) hat den Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 ebenso überdauert wie die Wirren des Zweiten Weltkrieges und die darauf folgende Vertreibung der altösterreichischen deutschböhmischen Bevölkerung aus der Stadt im Jahr 1945. Was aus den Eltern dieses Gablonzer Kaiserjägers wurde, ob sie die Vertreibung 1945 noch erleben mussten, oder ob sie bereits zuvor verstorben waren, bleibt unglücklicherweise im Dunkel der Geschichte verborgen. Die zugänglichen Chroniken geben darüber keine Auskunft.
Die Ruhestätte von Leutnant der Reserve Eduard Neuwinger stellt damit, neben dem 2018 von der Stadt Gablonz restaurierten Kriegerdenkmal für die von 1914 bis 1918 gefallenen Söhne der Stadt, wohl die letzte Erinnerung an diesen tapferen Tiroler Kaiserjäger aus Gablonz dar, dessen junges Leben vor mehr als 100 Jahren auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges im Alter von 21 Jahren so abrupt und blutig endete.