Wie der schwedische Hersteller Saab und das Münchner Unternehmen Helsing am 10. Juni in einem Online-Videobriefing bekanntgaben, hat ein gemeinsam entwickelter sogenannter „KI-Agent” erstmals einen schwedischen Gripen-E gesteuert – und sogar in den Kampf geführt.
Zwar befand sich Saab-Testpilot Marcus Wandt, der Anfang 2024 als erster ESA-Projektastronaut mit SpaceX/Axiom zur ISS flog, an Bord, doch simulierte das System bereits ein Luftkampfszenario außerhalb der Sichtweite („BVR-Szenario”). Wandt überwachte dabei das System und hätte bei Bedarf eingreifen können – musste es jedoch nicht. Ein zweiter Gripen fungierte als „gegnerische” Maschine.
Helsing entwickelte das System „Centaur”, das Sensordaten analysiert, Flugmanöver plant und sogar den Waffeneinsatz auslöst. Die Premiere: Nur sechs Monate nach Projektbeginn wurde Centaur in drei Flügen Ende Mai und Anfang Juni über der Ostsee erfolgreich getestet. Dies wurde insbesondere durch die offene, integrationsfreundliche Softwarearchitektur des Gripen-E ermöglicht, wie es von Saab heißt.
Laut Peter Nilsson, Programmleiter beim schwedischen Rüstungskonzern, absolvierte der KI-Agent zuvor hunderte simulierte Luftkämpfe gegen sich selbst – oft innerhalb eines Tages. Erfahrungswerte, für die menschliche Piloten Jahrzehnte benötigen würden. In der Realität sind derart viele Luftkämpfe ohnehin nicht durchführbar – seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es keine Piloten mit entsprechenden Erfahrungswerten.

Antoine Bordes, Vice President AI bei Helsing – zuvor neun Jahre bei Meta tätig – erklärte: „Diese Testflüge sind ein Meilenstein für den autonomen Luftkampf und markieren einen Wendepunkt für die Zukunft der europäischen Verteidigung. Wir haben fortschrittliche KI-Funktionen in Rekordzeit in das Software-Ökosystem des Gripen E integriert – ein Beweis für den rasanten Innovationsschub softwaredefinierter Verteidigung.”
Roboter-Kampfpiloten?
„Nein”, sagen Marcus Wandt und Peter Nilsson. Auch wenn Wandt den Gripen phasenweise „hands off” fliegen ließ, sei auch in Zukunft ein Pilot an Bord vorgesehen, um die KI zu überwachen und bei Bedarf zu übernehmen. Im letzten Test simulierte der Gripen E einen Luftkampf gegen einen Gripen D-Zweisitzer. Dabei wurden kontinuierlich Echtzeitdaten zur Zielerkennung, Verfolgung und Bekämpfung verarbeitet. Centaur gab schließlich Feuerbefehle – oder schlug diese zumindest vor. Laut Wandt waren die Lösungsvorschläge „nicht schlecht”.
Dennoch handle es sich bislang um Annäherungsversuche – Kampfpiloten würden nicht plötzlich überflüssig. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten allerdings in zukünftige unbemannte CCA-Drohnen oder Entwicklungen der sogenannten 6. Generation einfließen. Schweden und Saab forschen seit dem Rückzug aus dem britisch geführten Tempest/GCAP-Projekt in Eigenregie an einem entsprechenden Kampfflugzeug.
Ein Angebot an den Markt
Die Versuche sind Teil eines Programms der schwedischen Rüstungsbehörde FMV, die auch die Testflüge finanzierte. In den kommenden Monaten sollen Einsätze mit mehreren Gripen erfolgen, bei denen autonome Koordination zwischen Maschinen – und eine engere Abstimmung mit dem Menschen – im Fokus stehen. Die Einbindung des „Human in the Loop” gerät dabei zunehmend mit der technikgetriebenen Dynamik des Gefechtsfeldes in Konflikt. Es wird sich zeigen, ob die schwedische Luftwaffe oder künftige Gripen-Kunden diese Fähigkeiten in ihre Planungen integrieren wollen. Konkrete Angaben zur Einsatzbereitschaft oder zu den Kosten des Centaur-Systems machten weder Saab noch Helsing.
Nicht der erste Versuch
Saab und Helsing sprechen von einer Weltpremiere – was in Bezug auf die nahtlose Softwareintegration durchaus zutreffen mag. Doch auch in den USA wird daran gearbeitet. Bereits 2023 absolvierte der damalige US-Luftwaffenminister Frank Kendall einen einstündigen Testflug in der modifizierten F-16-Plattform X-62A „VISTA” in Kalifornien. Dabei wurde ein Luftkampf gegen einen bemannten Jet simuliert.
Kendall berichtete: „Während des Flugs verfolgte die KI-gesteuerte F-16 eine bemannte F-16. Beide Piloten versuchten, in eine günstige Abschussposition zu gelangen. Der KI-Jet trat gegen einen Piloten mit über 2.000 Stunden Flugerfahrung an – das Duell war etwa ausgeglichen. Gegen weniger erfahrene Piloten hätte die KI gewonnen. Denn Maschinen kennen keine Müdigkeit, keine Angst, sie handeln kompromisslos. Sie verarbeiten mehr Daten, schneller und effizienter – das gibt ihnen auf lange Sicht Vorteile gegenüber Menschen.”
Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen von Saab und Helsing. Und auch anderswo – etwa in China – dürfte in diesem Bereich intensiv geforscht werden. Bereits 2016 besiegte die US-KI „ALPHA” in fünf Simulator-Duellen routinierte menschliche Piloten. Die Rechenleistung dafür lieferte ein 35-Dollar-Raspberry-Pi. Mit weiter steigender Rechenleistung, Miniaturisierung und Datenverfügbarkeit scheint der Weg in diese Richtung vorgezeichnet.
„Alles nur von Menschen gemacht …”
Manche – und nicht nur militärisch – sehen diese Entwicklung kritisch. Der deutsche Neurowissenschaftler Henning Beck mahnt: „Keine KI besitzt echtes Verständnis, Schlussfolgerungsvermögen oder Reflexionsfähigkeit. Alles basiert auf Wahrscheinlichkeiten innerhalb großer Datenmengen und auf mittelkomplexen Algorithmen zur Interpretation und Antwortgenerierung.” Zwar seien KI-Systeme in der Mustererkennung und Datenanalyse beeindruckend – ein klarer Vorteil gegenüber menschlicher Verarbeitungskapazität. Dennoch sei die Idee eines „KI-Bewusstseins” vollkommen unplausibel. Die zunehmende Nachfrage nach KI-Anwendungen und deren enormer Energiebedarf seien weniger ein technisches Problem, sondern Ergebnis gesellschaftlicher Dynamiken – und eines Geschäftsmodells, das auf ständige Interaktion und Nutzung ausgelegt ist.
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