Unsere fünf Fragen gehen diesmal an Ferdinand Gehringer von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Wir haben mit dem Experten für Innere Sicherheit und Cybersicherheit über hybride Kriegsführung gesprochen und wie sich die EU dagegen wehren kann.
Herr Gehringer, anders als offene militärische Angriffe spielt sich hybride Kriegsführung im Graubereich zwischen Krieg und Frieden ab. Welche Technologien nutzt Russland bei hybriden Angriffen gegen die EU und welche Ziele verfolgt es?
Wenn wir die hybride Kriegsführung Russlands gegen die EU betrachten, dann greift Moskau auf verschiedene Technologien zurück, vor allem im Cyberbereich und bei Desinformationskampagnen. Russische Hacker nutzen für Cyberangriffe KI-gestützte Phishing, Schadsoftware oder DDoS-Angriffe, um technische Störungen zu verursachen oder Daten zu stehlen. Gleichzeitig betreibt Russland umfangreiche Desinformationskampagnen über soziale Medien und alternative Nachrichtennetzwerke. Mit Hilfe von Trollfabriken, Social Bots, Deepfakes, KI-Avataren oder KI-Influencern werden gesellschaftliche Konflikte geschürt, demokratische Institutionen diskreditiert und die öffentliche Meinung manipuliert. Dabei werden beispielsweise auch gezielt westliche KI-Systeme mit russischer Propaganda infiziert. KI-Chatbots mit Online-Suchfunktion stellen dann teilweise Falschinformationen von Propagandaportalen als Fakten dar, sogenanntes LLM Grooming.
Russland nutzt hybride Taktikten gegen die EU gezielt, um Demokratien zu destabilisieren und westliche Gesellschaften zu verunsichern, ohne dabei eine unmittelbare militärische Eskalation zu provozieren. Der „Friedenszustand” soll in der EU dabei immer aufrechtherhalten bleiben, da die Strukturen im Frieden oftmals eine schnelle und flexible Reaktion auf hybride Taktiken Russlands erschweren. Diese systemische Schwäche nutzt Russland aus. Ziel ist es, durch eine Vielzahl verdeckter und asymmetrischer Maßnahmen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einfluss auszuüben und gegnerische Strukturen langfristig zu schwächen.
Ein wesentliches Mittel hybrider Kriegsführung sind Desinformationskampagnen, wie etwa auf der Plattform Tik Tok oder durch sogenannte „Doppelgänger”, bei denen bekannte Online-Medien gespiegelt und mit Fehlinformation gefüttert werden. Wie kann die EU dagegen vorgehen?
Die EU sollte auf einen mehrdimensionalen Ansatz bauen, der technologische, regulatorische und gesellschaftliche Maßnahmen miteinander verbindet. Konkret setzt die EU bereits etwa mit dem Digital Services Act (DSA) auf strengere Regeln für große Plattformen wie Tik Tok, verpflichtet sie zur schnellen Entfernung illegaler Inhalte, fördert die Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden und Faktenprüfern. Allerdings ist der DSA in seiner Umsetzung noch nicht effizient genug. Zu wenige Fälle werden tatsächlich erfasst und die Plattformen noch nicht ausreichend zur Verantwortung gezogen. Auch Kennzeichnungspflichten für KI-generierte Inhalte oder Darstellungen kann illegitime Manipulation mindern. Gegen die „Doppelgänger-Kampagne” kann auch juristisch mit marken- und urheberrechtlichen Mitteln sowie über internationale Cybercrime-Abkommen noch besser vorgegangen werden.
Zugleich bedarf es europaweiter Frühwarnsysteme, die auch KI-gestützt Desinformationskampagnen früher erfassen können. Das EU Rapid Alert System (RAS) ist eine Basis für die noch bessere Vernetzung der nationalen Behörden, um im Idealfall eine geschlossene und einheitliche Reaktion zu ermöglichen. Weitergehend sollte die EU verstärkter auf strategische Kommunikation setzen. Durch Gegennarrative können Desinformationskampagnen in ihrer Wirkung geschwächt werden. Der ideale Nährboden für Desinformation ist fehlendes Vertrauen in die Demokratie, in die Funktionsfähigkeit der EU oder der europäischen Institutionen. Eine positive Erzählung von der EU, jüngsten politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Errungenschaften und Erfolgen kann hier entgegenwirken.
„Typische Anzeichen für Desinformation sind emotional aufgeladene Inhalte, die Angst, Wut oder Hass schüren.“
Woran erkennt man, Ziel hybrider Kriegsführung zu sein – zum Beispiel in sozialen Medien?
Zunächst ist wichtig anzuerkennen, dass wir alle Akteure im Cyber- und Informationsraum sind. Demnach können wir alle von hybriden Taktiken betroffen sein. In sozialen Medien zielen sie auf die Meinungen einzelner Bürger ab – oft ohne, dass man es sofort bemerkt. Typische Anzeichen für Desinformation sind emotional aufgeladene Inhalte, die Angst, Wut oder Hass schüren, sowie Beiträge ohne überprüfbare Quellen oder von gefälschten Medienseiten. Häufig wiederholen sich einfache, spaltende Botschaften beispielsweise „die Regierung lügt” oder „die Medien verschweigen uns etwas”. Auffällig viele Likes oder Kommentare können zudem auf Botnetzwerke oder Trollfabriken hinweisen. Auch anonyme oder kaum aktive Nutzerprofile und manipulierte Bilder oder Videos – zum Beispiel Deepfakes – sind Warnsignale.
Finnland versucht seine Gesellschaft resistenter gegen hybride Angriff zu machen, indem der Staat Resilienz-Seminare organisiert. Auf was zielen diese ab und wie tauglich sind sie?
Ein zentraler Baustein zur Abwehr hybrider Bedrohungen ist die Stärkung der kognitiven Resilienz der Bevölkerung – also die Fähigkeit, Desinformation zu erkennen, psychologische Angriffe abzuwehren und in kritischen Lagen handlungsfähig zu bleiben. Ziel ist es, die „ersten Schläge” einer hybriden Attacke – etwa in Form massiver Medienmanipulationen oder gesellschaftlicher Destabilisierungsversuche – unbeschadet zu überstehen, um anschließend koordiniert und überlegt weitere Schritte planen zu können. Um diese Resilienz zu fördern, werden regelmäßig Übungen zum Erkennen von Manipulations- und Desinformationskampagnen durchgeführt. Ein tragender Pfeiler dieses Ansatzes ist der Aufbau eines Systems nationaler und regionaler Verteidigungskreise, das auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruht. Dieses System wird als gemeinsames Projekt des Überlebens verstanden, in das staatliche, zivile und militärische Akteure gleichermaßen eingebunden sind.
Einmal pro Quartal findet zudem ein prestigeträchtiger Kurs, organisiert vom Verteidigungsministerium, für nationale Führungskräfte statt, zu dem Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Zivilgesellschaft und Religion persönlich eingeladen werden. Die Teilnehmer absolvieren ein intensives rund dreiwöchiges Programm mit täglichen Einheiten von bis zu zwölf Stunden. Inhalte sind unter anderem praxisnahe Bedrohungsanalysen, Schulungen zu hybrider Kriegsführung, Führungsverhalten in Krisen und strategische Kommunikation. Geleitet wird der Kurs von den Streitkräften, wodurch auch militärisches Denken und operative Abläufe vermittelt werden. Gleichzeitig dient das Programm der Vernetzung zwischen Schlüsselpersonen, dem Aufbau von gegenseitigem Vertrauen und der Klärung gesellschaftlicher Rollen im Verteidigungsfall.
„Hybride Angriffe Russlands oder Chinas werden von der EU nicht mit ähnlichen Maßnahmen beantwortet.“
Werden hybride Angriffe Russlands oder Chinas mit ähnlichen Angriffen seitens der EU beantwortet? Falls nein, warum nicht?
Hybride Angriffe Russlands oder Chinas werden von der EU nicht mit ähnlichen Maßnahmen beantwortet. Statt auf symmetrische Gegenangriffe zu setzen, verfolgt die EU einen grundsätzlich anderen Ansatz. Der Hauptgrund dafür liegt in ihrem Selbstverständnis als Wertegemeinschaft: Die EU stützt ihre Außen- und Sicherheitspolitik auf Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und demokratische Prinzipien. Der Einsatz manipulativer Mittel würde diesen Werten widersprechen und das Vertrauen in die eigenen Institutionen unter Umständen untergraben.
Zudem fehlt es der EU an einer gemeinsamen strategischen Kultur. Während autoritäre Staaten wie Russland oder China zentralisiert, langfristig und koordiniert hybride Mittel einsetzen, agiert die EU oft reaktiv und fragmentiert. Die Interessen der Mitgliedstaaten sind unterschiedlich, und die Kompetenzen in Bereichen wie Cybersicherheit oder strategischer Kommunikation liegen meist bei den Nationalstaaten. Auch operative Strukturen für offensives Handeln sind auf europäischer Ebene nur begrenzt vorhanden oder institutionell nicht vorgesehen. Stattdessen setzt die EU auf den Ausbau ihrer Resilienz und auf rechtstaatliche Mittel der Verteidigung. Dazu zählen gesetzliche Initiativen, strategische Kommunikationsmaßnahmen, Aufklärungsprojekte und internationale Sanktionen gegen Akteure hybrider Angriffe. Ziel ist es, hybride Bedrohungen frühzeitig zu erkennen, ihre Wirkung abzuschwächen und die eigene demokratische Widerstandskraft zu stärken – ohne selbst die Prinzipien aufzugeben, die die EU auszeichnen. Nicht zuletzt spielt aber auch die Sorge vor einer Eskalation eine Rolle: Würde die EU offensiv mit ähnlichen hybriden Mitteln reagieren, bestünde die Gefahr einer unkontrollierbaren Ausweitung. Statt auf Vergeltung setzt die EU daher auf Stabilität, Transparenz und den Schutz ihrer offenen Gesellschaften.
Hier geht es zu den anderen Beiträgen unserer Serie „5 Fragen an” und hier zu einem weiteren Beitrag zum Thema: Droht ein neuer Bürgerkrieg in Syrien?