Das NATO-Neumitglied Finnland verbindet mit Russland eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze. Groß bedroht sehen sich die Bewohner des Landes dadurch aber nicht, wie die finnische Sicherheitsexpertin Minna Ålander im Gespräch mit Militär Aktuell erklärt.
Frau Ålander, in der Ukraine wird seit fast zweieinhalb Jahren gekämpft (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg), Aussicht auf Frieden gibt es nicht. Zudem droht Wladimir Putin dem Westen immer wieder mit der Atombombe, scheint neben Moldau auch das Baltikum im Visier Moskaus zu sein. Wie bewerten Sie die aktuelle Sicherheitslage für Finnland und Europa?
Die Lage Finnlands ist ein wenig paradox, da sich die generelle europäische Sicherheitslage infolge von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich verschlechtert hat, allerdings die finnische Sicherheitslage seit der Unabhängigkeit 1917 noch nie besser war.
Weil Finnland nun NATO-Mitglied ist?
Ja, aber auch, weil auf der russischen Seite unserer langen gemeinsamen Grenze kaum mehr Truppen und Gerät übrig sind. Das meiste wurde in die Ukraine verlegt, nur die Nordflotte mit ihren strategischen Atom-U-Booten liegt immer noch in ihrer Marinebasis auf der Kola-Halbinsel. Wir rechnen natürlich damit, dass Russland nach dem Krieg in der Ukraine wieder mehr Fokus auf uns legen wird und mit „Moskau” und „Leningrad” wurden zuletzt ja auch zwei neue Militärbezirke nahe unserer Grenze gegründet.
Russlands Kräfte sind geschwächt, trotzdem ist die Sicherheitslage in Europa so schlecht wie schon lange nicht mehr. Woran liegt das?
Putin wird von seinem Kriegskurs nicht ohne Weiteres abgehen, deshalb die Sorgen und deshalb müssen wir Europäer uns auch auf schwierige Zeiten einstellen. Containment ist momentan die beste Option, da wir im Westen wohl keinen Einfluss auf innere Entwicklungen in Russland haben. Umgekehrt müssen wir aber davon ausgehen, dass Putin jede unserer Schwachstellen nutzen wird.
Finnland ist jetzt rund ein Jahr in der NATO. Können Sie beschreiben, wie sich das Land seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine gesellschaftlich und militärisch verändert hat?
Der Wandel ist fundamental – und passierte praktisch über Nacht. Interessanterweise ging der Prozess in Richtung NATO von der Bevölkerung aus. Schon in der ersten Meinungsumfrage, die vier Tage nach Beginn der vollständigen russischen Invasion veröffentlicht wurde, hatte sich die jahrzehntelang vorherrschende Skepsis der Finnen gegenüber einem möglichen NATO-Beitritt ins Gegenteil verkehrt. Plötzlich waren 53 Prozent für den Beitritt. Nicht ganz unwesentlich für diesen Meinungsumschwung war auch eine russische Forderung aus dem Jahr 2021.
Nämlich?
Putin forderte damals von der NATO, dass sie keine neuen Mitglieder mehr akzeptieren dürfe und sie auf die Grenzen von 1997 zurückgesetzt werden müsse. Das empfanden viele Finnen als unakzeptabel.
„Putin wird von
seinem Kriegskurs nicht ohne Weiteres abgehen, deshalb müssen wir Europäer uns auch auf schwierige Zeiten
einstellen.“Sicherheitsexpertin Minna Ulander
Polen hat sich zuletzt angesichts der russischen Bedrohung offen für die Stationierung von NATO-Kernwaffen im Land gezeigt. Ist das auch in Finnland ein Thema?
Es ist natürlich in Russlands Interesse, Finnland durch Einschüchterung von Änderungen des Atomenergiegesetzes abzuhalten. Das wird aber kaum Einfluss auf den finnischen Prozess haben oder könnte gegebenenfalls sogar das Gegenteil bewirken. Finnen machen gerne das Gegenteil davon, was der Kreml empfiehlt.
In jedem Fall scheint Finnland auf die aktuelle Situation gut vorbereitet, der Zivilschutz genießt im Land einen hohen Stellenwert, die Zahl der Bunkeranlagen ist groß.
Tatsächlich spielt der Zivilschutz im Land traditionell eine große Rolle. In der Hauptstadt Helsinki gibt es Schutzplätze für bis zu 900.000 Personen – bei einer Einwohnerzahl von rund 600.000 Menschen. Das trägt natürlich auch zum subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung bei.
Abschließend: Was hat Helsinki bisher der Ukraine an militärischer wie sonstiger Hilfe zuteilwerden lassen?
Es sind keine Details über die Inhalte bekannt, aber bisher waren es 23 militärische Hilfspakete und das finnische Verteidigungsministerium gibt deren Gesamtwert mit rund zwei Milliarden Euro an, was bei einem Bruttoinlandsprodukt von zuletzt 260 Milliarden Euro ein durchaus ansprechender Wert ist.
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