EU-Abgeordneter Lukas Mandl (ÖVP) ist Vizevorsitzender des Verteidigungsausschusses im Europa-Parlament sowie stellvertretender Verteidigungssprecher der Fraktion der Europäischen Volkspartei. Wir haben mit ihm über eine engere Zusammenarbeit der europäischen Streitkräfte, einen besseren Mitteleinsatz und die Rolle der Streitkräfte bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie gesprochen.
Herr Mandl, Sie befürworten eine stärkere Vernetzung der EU-Streitkräfte und Sie wollen die Entwicklung der „strategischen Autonomie” Europas vorantreiben – warum?
Wir dürfen nicht vergessen, dass unser Lebensmodell und unsere liberale Demokratie nicht allen auf dieser Welt in den Kram passen. Die größte Stärke des heutigen Europa ist seine Einigkeit. Wer also die eigenen Möglichkeiten eher in Konfrontation als in Kooperation sieht, wer uns schwächen will, zielt darauf ab, unsere Einigkeit zu reduzieren, unsere Gesellschaften zu spalten. Dagegen müssen wir uns wappnen, nicht nur im Verteidigungsbereich, aber essenziell auch im Verteidigungsbereich. Nadelstiche gegen Europa auf der Basis hybrider Taktiken nehmen zu. Diese Lage verlangt den Aufbau dessen, was die Fachwelt strategische Autonomie nennt: Wir müssen uns selbst helfen können. Der im neuen EU-Finanzrahmen erstmals eingerichtete Verteidigungsfonds bietet eine große Chance auf einschlägige Innovation. Auch der zivile Nutzen dieser Innovation wäre übrigens beachtlich, wenn wir endlich Alltagsgüter im Zeitalter der Digitalisierung „Made in Europe” haben werden, und Arbeitsplätze in Europa. Wir müssen unsere Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich stärken und über die „soft power” der EU hinaus auch „hard power” entfalten, wie unisono auch Außenkommissar Borrell, der von der Kommissionspräsidentin auch mit der Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik beauftragt wurde, und Industriekommissar Breton betonen.
Geht es Ihnen dabei auch um mehr Mittel für die Verteidigung oder vor allem um eine stärkere Fokussierung, um mehr Vernetzung und einen besseren Mitteleinsatz?
Die Mitgliedsstaaten der EU stellen zusammen mehr Truppen als die Vereinigten Staaten und investieren nach den USA am zweitmeisten in Verteidigung. Die Mittel sind also ausreichend vorhanden. Aber aufgrund eines Mangels an Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten nicht effizient genützt. Das verlangsamt die Stärkung Europas nach außen und die Entfaltung der Wirtschaft. Oft wird übersehen, dass rund 60 Prozent der Innovationsmittel in den USA aus dem Verteidigungsbereich kommen. Die Markführerschaft im Zeitalter der Digitalisierung kommt nicht von ungefähr. Europa kann hier besser werden.
Zielt die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit” (kurz PESCO), die 2017 ins Leben gerufen wurde, nicht genau auf die von Ihnen gewünschte engere Koordination ab?
Klar! PESCO ist neben dem Verteidigungsfonds die zweite vielversprechende verteidigungspolitische EU-Maßnahme. PESCO hat bis jetzt 47 Projekte hervorgebracht, mit denen die Kooperation und die Interoperabilität zwischen den Streitkräften der Mitgliedsstaaten gestärkt und Fähigkeitslücken geschlossen wurden. Das ist ein guter erster Schritt. Es gilt, in Zukunft die Bedeutung von PESCO noch deutlicher zu unterstreichen und wir müssen die Mitgliedsstaaten dazu animieren, sich noch reger, zielgerichteter und nachhaltiger an PESCO zu beteiligen, aber nicht nur die Mitgliedsstaaten.
Inwieweit sollte die angesprochene Vernetzung gehen? Könnten da über die EU-Grenzen hinaus auch Drittstaaten eingebunden werden?
Genau das ist nach den jüngsten Fortschritten, die wir gemacht haben, seit einigen Wochen möglich. Und es ist auch sehr wichtig. Für unsere Sicherheit, für den effizienten Einsatz von Steuergeld, für die Einigkeit Europas hilft es, wenn auch europäische Staaten, die nicht, noch nicht, nicht mehr oder derzeit nicht Mitgliedsstaaten sind, mitmachen. Die EU hat eine Verantwortung für das gesamte europäische Territorium und muss daher vernetzen und einbinden. Leider wird völlig unterschätzt, wie wichtig für unser aller tägliche Sicherheit die Involvierung des Vereinigten Königsreichs ist. Brexit hin oder her: Dafür muss es auch in Zukunft Mittel und Wege geben!
Welche Beiträge könnten bei alledem Österreich und das Bundesheer leisten und verstärkt einbringen?
Das Europa-Parlament hat jüngst die zentrale Rolle der europäischen Streitkräfte bei der Bekämpfung der Pandemie gewürdigt. Das Österreichische Bundesheer hat durch seine große Expertise beispielsweise in der ABC-Abwehr sehr viel zu diesem Erfolg beigetragen. Neben der ABC-Abwehr hat unser Bundesheer aber auch beim Katastrophenschutz und in vielen anderen Bereichen große Expertise, die im Rahmen einer engeren europäischen Kooperation von vielen Mitgliedsstaaten als Mehrwert geschätzt wird.
Hier geht es zu den anderen Beiträgen unserer Serie „5 Fragen an”.