Generalleutnant Karl Schmidseder ist seit Juli neuer Einsatzchef des Bundesheeres. Im Interview mit Militär Aktuell gibt er sich als Verfechter „kreativer und innovativer Ideen“ – auch was die Zukunft des Bundesheeres betrifft.
Herr General, Sie sind seit Juli Leiter der Sektion Einsatz, die Entscheidung zum Abzug der österreichischen Truppen vom Golan fiel allerdings kurz davor. Wie glücklich waren und sind Sie damit?
Das hat mit Glücklichsein nichts zu tun, es geht dabei nicht um persönliche Befindlichkeiten. Es hat vor meinem Amtsantritt eine seriöse Beurteilung der Situation vor Ort und darauf folgend eine politische Entscheidung gegeben, die zu respektieren ist.
Anders gefragt: Können Sie die damalige Entscheidung der Bundesregierung nachvollziehen?
Aufgrund der Vorkommnisse in den vergangenen beiden Jahren kann ich das, und wie die jüngsten Entwicklungen gezeigt haben, hat auch die UNO etwas aus unserem Schritt gelernt. Österreich hat die UNO mehrmals darauf hingewiesen, dass in Syrien aufgrund der kritischen Sicherheitslage die Ausrüstung der Soldaten verbessert werden muss, was aber nie passierte. Das irische Ersatzkontingent ist jetzt toll ausgerüstet und bewaffnet, man scheint also in New York aus unserer Entscheidung seine Schlüsse gezogen zu haben.
Nach dem Abzug vom Golan verfügt Österreich aktuell über knapp 800 Soldaten in Auslandseinsätzen. Ist hier an eine Aufstockung gedacht?
In der Sicherheitsstrategie steht, dass Österreich weiterhin ein verlässlicher Truppensteller gegenüber der UNO, der EU oder auch anderen Formaten sein wird, und abgeleitet davon gibt es mit dem Balkan, dem Nahen Osten und Nordafrika Einsatzräume, in denen wir unser Schwergewicht sehen und wir verschiedene Optionen abwägen. Planerisch hätten wir auch Handlungsspielraum mit weiteren bis zu 300 Soldaten in einem laufenden neuen Einsatz.
Welche Optionen sind das?
Eine betrifft etwa den Kosovo, wo wir aktuell zwar bereits der stärkste Nicht-NATO-Truppensteller sind, uns aber auch ein noch stärkeres Engagement vorstellen können. Im Nahen Osten ist derzeit eine Beteiligung mit Experten bei der OPCW-Mission in Syrien im Gespräch, und auch im Libanon ist eine Profiländerung unseres Einsatzes oder sogar eine Aufstockung denkbar. Zudem prüfen wir auch in Nordafrika Möglichkeiten und …
… in Ostafrika bei der Atalanta-Mission zur Verhinderung von Piraterie?
Auch das ist eine Option. Österreich ist zwar keine maritime Nation, aber wir könnten etwa Teams zum Schutz von Schiffen stellen. Die dafür benötigte Expertise haben wir.
Sind Sie mit dem internationalen Einsatzspektrum des Bundesheeres zufrieden, oder würden Sie sich mehr Abwechslung wünschen?
Grundsätzlich decken wir ein sehr breites Spektrum ab, einige Bereiche sind für uns aber schlichtweg unmöglich. Es wäre mit Stand heute etwa unrealistisch, sich mit einer größeren Anzahl von Helikoptern an einer Mission zu beteiligen. In Zukunft ist aber auch das nicht auszuschließen, mit der Agusta Bell 212 befinden wir uns derzeit in einem Midlife-Upgrade. In etwa zwei Jahren haben wir dann ein echtes High Value Asset zur Verfügung. Es kommt gerade für kleinere Truppensteller immer mehr darauf an, spezifische Fähigkeiten einzuführen, die multinational nicht so einfach aufzubringen sind. Es geht weniger um die rein personelle Stärke eines Kontingents.
Welche Bedeutung haben internationale Einsätze für die Kompetenzgewinnung des Bundesheeres?
Eine große, und daher ist auch die Einsatznachbereitung enorm wichtig. Wir lernen aus jeder Mission, auch aus Missionen von Partnern. Die Tschechen waren etwa mit einem Feldspital im Irak und in Afghanistan und genießen jetzt eine unglaubliche Expertise im Sanitätswesen. Wir können das derzeit in dieser Größe und Qualität nicht realisieren.
Überträgt sich damit der gesellschaftliche Trend zur vermehrten Spezialisierung auch auf die Streitkräfte?
Die Entwicklung in Europa scheint klar in diese Richtung zu gehen, was nicht bedeutet, dass man neben den Spezialisierungen andere Fähigkeiten auf null setzen muss. Aber selbst das ist eine Option, wie die Niederlande beweisen, die ihre Fähigkeit im Bereich Kampfpanzer vollständig aufgeben und in diesem Bereich nun eng mit Deutschland kooperieren. Andere Länder werden aufgrund der angespannten Budgets in den kommenden Jahren wohl ähnliche Schritte setzen; es ist heute nicht mehr notwendig, dass jeder in seinem militärischen Schrebergarten alle Pflanzen anbaut.
Voraussetzung dafür ist aber wohl eine stärkere internationale Vernetzung?
Definitiv, das ist aber eine Entwicklung, die schon seit längerer Zeit spürbar ist und natürlich auch viel mit Vertrauen zu tun hat. Auch Österreich lebt diese Vernetzung, und daher ist es auch hierzulande sicherlich sinnvoll, darüber nachzudenken, ob wir die Pflanzenvielfalt in unserem Schrebergarten nicht reduzieren und im Gegenzug den Zaun zum Nachbarn vielleicht wegreißen sollten.
Welche Pflanzen haben demnach im Schrebergarten Österreich keine Zukunft mehr?
Was wir unbedingt weiter selbst können müssen, ist die nationale Katastrophenhilfe, und auch sicherheitspolizeiliche Assistenz müssen wir im Anlassfall unbedingt selbst leisten können. Dazu kommt die nationale Luftüberwachung und -sicherung; bei einer Großveranstaltung müssen wir etwa in der Lage sein, ein Luftraumbeschränkungsgebiet oder eine No-Fly-Zone zu überwachen. Die Frage, die sich nun stellt, ist, was wir darüber hinaus für unsere Beiträge im internationalen Krisenmanagement brauchen. Brauchen wir dafür all die Fähigkeiten, die wir jetzt vorhalten, oder ist es besser, in bestimmte Bereiche wie etwa unbewaffnete Drohnensysteme oder Sensorik vermehrt oder gleich viel zu investieren, während wir andere Fähigkeiten reduzieren oder auf null setzen?
Welche Bereiche könnten das sein?
Etwa die Artillerie oder die Kampfpanzer. Wenn wir diese Fähigkeiten in der aktuellen Dimension in Österreich nicht mehr brauchen und damit auch nicht ins Ausland gehen, muss man im Lichte der notwendigen Konzentration auf die einsatzwahrscheinlichsten Szenarien überlegen, sie strukturell zu reduzieren, auf weniger Standorte zu konzentrieren oder auf Kompetenzerhalt umzustellen. Die Zusammenarbeit mit Panzern kann man etwa auch mit internationalen Partnern trainieren.
Wie sehr sind solche Überlegungen aus der Not heraus geboren, um budgetäre Mittel für Investitionen in andere Bereiche freizuschaufeln?
Wir brauchen nicht die Illusion haben, in Zukunft mehr Budgetmittel zur Verfügung gestellt zu bekommen. Lassen wir also strukturell alles so, wie es ist, werden wir in wenigen Jahren große Probleme bekommen. Daher müssen wir Schwerpunkte bilden und uns überlegen, welche Szenarien auf uns in Zukunft zukommen, welche Mittel wir dafür benötigen und auf was wir verzichten können. Da ist auch im Generalstab bereits ein entsprechender Vorgang gestartet worden, irgendwann muss man schließlich Farbe bekennen und die Karten auf den Tisch legen – aber dafür braucht es auch Mut.
Wie mutig werden diese Überlegungen ausfallen?
Das wird sich zeigen. Kreative und innovative Vorschläge dürfen jedenfalls nicht vom Tisch gewischt werden, nur weil sie dem militärischen Denkschema des 20. Jahrhunderts nicht entsprechen.