Beginnen wir diese Story mit einem medialen Foul. In der ORF-Sendung „Report” am 11. März wurde dem stellvertretenden Generalstabschef des Österreichischen Bundesheeres, Generalleutnant Bruno Günter Hofbauer, die Frage gestellt: „Könnten die USA unsere Eurofighter heute auch auf Knopfdruck lahmlegen?” Generalleutnant Hofbauer antwortete: „Die Frage möcht’ ich nicht beantworten, wenn’s geht.”
Üblicherweise belässt man so etwas in einem aufgezeichneten Interview nur dann, wenn man den Interviewten bewusst ungünstig dastehen lassen will. Denn solch kurze Frage-Antwort-Sequenzen zu naturgemäß komplexen Themen sind nicht zielführend.
Klar: Man kann vorab geplante, tiefergehende Interviews oder Hintergrundgespräche zu sehr heiklen Themen wie „verschlüsselte Datenlinktechnologien, die von der gesamten NATO und vielen Drittstaaten verwendet werden”, führen. Allerdings mit dem Ergebnis, dass der Befragte bei jeder Frage ausloten muss, wo bei jeder einzelnen Information jeweils die Grenze zur bilateral vereinbarten Einstufung liegt. Ohnehin findet man zu den einzelnen Schlüsselwörtern sehr oft mehr öffentliche Information, als der Befragte bereit ist zu geben.
Ein geheimer „Kill Switch“?
Auch der Kolumnist der Krone, der Börsenexperte Christian Baha, berichtet über einen „Kill Switch” und darüber, dass „alle Daten von US-Waffensystemen über einen US-Server” laufen. Laut Baha gilt das auch für „Patriot- und Arrow III-Abwehrraketen, die für Sky Shield vorgesehen sind”.
Abgesehen davon, dass Arrow III ein israelisches System ist – mit US-Beteiligung, zugegeben – ist das System jedoch definitiv kein Teil der European Sky Shield Initiative (ESSI). Ebenso hat niemand beschlossen, im Rahmen von ESSI US-Raketen für Österreich zu kaufen.
Bislang keine „Auffälligkeiten“
Wir möchten hier vorausschicken und betonen, dass uns in den inzwischen bald 20 Eurofighter-Jahren in Österreich keine Irregularitäten oder Konflikte bei der Abwicklung und Nutzung der von den Vereinigten Staaten von Amerika zur Verfügung gestellten Dienste – weder seitens des Bundesheeres noch sonstiger Quellen – zu Ohren gekommen sind.
Aus allem, was wir sehen und hören, können wir nur schließen, dass das Verhältnis zwischen dem Österreichischen Bundesheer und dem Department of Defense der Vereinigten Staaten von Amerika vollständig intakt und ungetrübt ist.

Es gibt zu den betreffenden Systemen eine Vielzahl öffentlicher Unterlagen – bis hin zu detaillierten Beschreibungen, welche Komponenten welche Funktion haben, welche Kryptoschlüssel was bewirken, wie lange sie gelten und wo man sie bekommt.
Wer möchte, kann sich gerne einarbeiten. Links dazu finden Sie im Anhang.
Es gibt darüber hinaus natürlich auch klassifizierte Informationen (also „abgestuft geheim”) sowie kontrollierte, nicht klassifizierte Informationen (nicht „geheim”, aber dennoch zugangsbeschränkt).
Womit wir im Bereich der Spekulation angelangt wären …
Theoretische Überlegungen
Ausgehend von dem, was wir allgemein wissen, können wir Annahmen treffen, wie die jeweils Verantwortlichen gegebenenfalls reagieren und welche Maßnahmen sie setzen.
Ob das letztendlich genau so, ähnlich, ganz anders oder gar nicht stattfinden wird, ob das nur theoretische Überlegungen, zu Papier gebrachte Konzepte oder gängige Praxis sind – das wissen nur die Verantwortlichen.
Zwei bestimmte Geräte
Unseren Informationen zufolge hat die Republik Österreich einen Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika zwecks Erhalt von Kryptoschlüsseln, welche die Funktion zweier Geräte ermöglichen. Das sind:
- Zum einen jenes Gerät, das den Aufbau einer verschlüsselten Link 16-Datenfunkübertragung zwischen mehreren österreichischen Eurofightern, zwischen den Eurofightern und dem Goldhaube-System und – bei begründetem gemeinsamen Interesse, zum Beispiel bei internationalen Übungen – auch mit Systemen anderer Staaten ermöglicht.
- Zum anderen die Entschlüsselung des Precise Positioning Service (PPS)-Signals des GPS-Dienstes des US-Verteidigungsministeriums.
MIDS-LVT – Multifunctional Information Distribution System/Low Volume Terminal: der Schlüssel zu Link 16
Das MIDS-Programm ist kein proprietärer Dienst der Vereinigten Staaten! MIDS-LVT ist ein hardwaredefiniertes Funkgerät, das von einem Konsortium aus fünf Ländern (USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien) im Rahmen einer Absichtserklärung (PMOU) entwickelt wurde. Eine Reihe europäischer Hersteller kann diese Geräte liefern (siehe Links unten). Jets ohne dieses Equipment gibt es praktisch nicht. Auch der Eurofighter – ebenso wie potenzielle Nachfolger – ist aktuell damit ausgestattet. Wie das künftig aussehen könnte, lesen Sie weiter unten.

Die Verwaltung des MIDS-Programms für US- und internationale Streitkräfte obliegt dem MIDS International Program Office der US Navy in San Diego, Kalifornien. Hochrangige Vertreter der fünf Teilnehmerländer bilden den MIDS-Lenkungsausschuss (SC).
Wenn – wie im Fall Österreichs – ein Drittland MIDS-LVT-Geräte erwerben und nutzen möchte, erfordert dies die einstimmige Zustimmung aller SC-Mitglieder. Umgekehrt reicht der Rückzug eines Mitglieds aus, um die Nutzung theoretisch zu unterbinden.
Was macht Link 16?
Das MIDS-LVT-Terminal ermöglicht die Teilnahme an taktischen Link 16-Datenfunknetzwerken. Über diese können Sprach- und Zeichendaten, jedoch keine Bilder oder Videos übertragen werden.
Das System nutzt 51 Frequenzschlitze im UHF-Band zwischen 969 MHz und 1.206 MHz. Das verschlüsselte Signal springt pseudozufällig rund 77.000-mal pro Sekunde, was ein Abhören oder Stören praktisch unmöglich macht.
Nur wer den Kryptoschlüssel kennt und weiß, auf welche Frequenz der Sender als Nächstes wechselt, kann eine Nachricht entschlüsseln. Diese Schlüssel verfallen täglich um Mitternacht (UTC).
GPS PPS

Gleiches gilt für das PPS-Signal des GPS. Zum Entschlüsseln sind Schlüssel erforderlich, die eine genauere Positions- und Zeitbestimmung als beim öffentlich verfügbaren Standard Positioning Service (SPS) ermöglichen. Früher war das der P(Y)-Code, heute erfolgt der Übergang auf den M-Code.
Die singuläre Abhängigkeit vom US-GPS ist aber rückläufig. Seit Präsident Bill Clinton im Jahr 2000 den SA-Code deaktivierte, ist die Genauigkeit weltweit gestiegen. Heute gibt es zusätzlich Glonass (Russland), Beidou (China), Galileo (EU) und DGPS-Dienste wie Apos in Österreich – mit Präzision im Zentimeterbereich.
Was davon die österreichischen Tranche-1-Eurofighter heute können, ist unbekannt. Künftige Anforderungen ab 2032 sind noch offen.
Nichts mit Eurofightern, die am Taxiway „einfrieren”
In den verwendeten Geräten kann eine gewisse Anzahl dieser Kryptoschlüssel gespeichert werden. Gehen sie zur Neige, kommt ein Mitarbeiter eines beauftragten US-Dienstleisters im Auftrag des „NSA Cryptographic Support Services” nach Zeltweg und lädt neue Kryptoschlüssel nach. Gemäß den uns vorliegenden Informationen geschieht das alle paar Monate.
Die wiederholte, absichtliche beziehungsweise wohl eher innenpolitisch oder generell anti-amerikanisch motivierte „Hype”, etwa dass „jeder Flug von den USA freigegeben wird” oder „die Eurofighter abgeschaltet werden könnten”, mag den Auflagen von Boulevardzeitungen und der Aufwallung in deren Foren dienlich sein – wir können solche Behauptungen nicht bestätigen.
Was die Zukunft bringt
Das Zeitalter der hardwaredefinierten Funkgeräte ist ohnehin faktisch vorüber. Die USA steigen derzeit auf das softwaredefinierte MIDS-JTRS (Joint Tactical Radio System)-Terminal um. Dieses ist abwärtskompatibel zu 14 älteren Link-Standards, darunter Link-16, und kann dank offener Software-Kommunikationsarchitektur flexibel mit neuen Standards programmiert werden.

Europa steht dem in nichts nach. Im Rahmen der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit” (PESCO) verfolgt die EU mit dem Projekt European Secure Software Defined Radio (ESSOR) vergleichbare Ziele. Geplant ist eine neue, rein europäische Generation von MIDS-Terminals, die als ESSOR MIDS (EMIDS) bezeichnet wird.
Die Inbetriebnahme der ESSOR MIDS-Terminals ist für das Jahr 2030 vorgesehen.
Da Frankreich bereits einen eigenen Link-Standard für den Eigenbedarf entwickelt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass zukünftige Geräte auch die Möglichkeit bieten werden, verschiedene Standards je nach Endkundenanforderung zu nutzen.
„Steht” der Eurofighter ohne Kryptoschlüssel?
Die beste Annahme, die wir treffen können, lautet: Wahrscheinlich nicht. Zwar ist die Verfügbarkeit verschlüsselter Kommunikation und Navigation Teil der Musterzulassung des Eurofighters. Das Bundesheer – konkret die LZA-Dienststelle in der Direktion 5 – ist jedoch seine eigene luftfahrttechnische Zulassungsbehörde.
Im Falle eines Entzugs der Kryptoschlüssel wäre es eine Entscheidung der Verantwortlichen im Bundesheer, ob und wie weitergeflogen wird.
Der Eurofighter stützt sich jedenfalls nicht ausschließlich auf verschlüsseltes GPS zur Navigation – ebenso wenig auf Link-16 bei der Kommunikation. Fakt ist aber: Ohne Herstellersupport steht jedes moderne Waffensystem sehr bald still, heute noch mehr als damals.
Ob aus Europa oder den USA – und auch große Ersatzteillager können das nicht dauerhaft kompensieren (-> Wegen „Kill Switch” und anderen Abhängigkeiten: Abkehr vom F-35).
Wer weiß, was alles geht?
Insbesondere sind dringende Anpassungen aufgrund unmittelbarer Einsatzerfahrungen und dringenden Änderungsbedarfs in dieser Branche nichts Ungewöhnliches.
Im laufenden Russland-Ukraine-Krieg (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) musste beispielsweise das russische Pantsir-Fliegerabwehrsystem mit neuer Software angepasst werden, um die Erfolgsquote gegen HIMARS-Raketen zu verbessern.

Ähnliches gilt für die US-schwedische Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB). Auch sie musste mitten im Krieg modifiziert werden, um sich besser gegen russische Systeme behaupten zu können.
Gekämpft wird nicht nur im Cockpit – sondern ebenso in Werkstätten und Software-Laboren, um die Systeme so rasch wie möglich an den aktuellen Bedarf anzupassen.
Ukrainische frühe MiG-29, die heute US-amerikanische AGM-88 HARM-Anti-Radar-Raketen verschießen, oder Su-24M, die Scalp-Marschflugkörper einsetzen, sprechen eine eindeutige Sprache: Niemand hatte sich das vorher vorstellen können – und niemand weiß, was alles möglich ist, bis es jemand tatsächlich macht.
Quell- und Recherchematerial
- Anfrage der Abgeordneten Haimbuchner und Kollegen an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend der Beschaffung von Lizenzen für MIDS LVT und GPS Krypto Variable (22. März 2007)
- Anfragebeantwortung durch den Bundesminister für Landesverteidigung und Sport Norbert Darabos (21. Mai 2007)
- Anfrage der Abgeordneten Haimbuchner und Kollegen an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend Lizenzen für den Datenfunk und GPS beim System Eurofighter (14. Jänner 2009)
- Anfragebeantwortung durch den Bundesminister für Landesverteidigung und Sport Norbert Darabos (13. März 2009)
- Grundlagenvereinbarung über Austausch und Kooperation zwischen dem Bundesminister für Landesverteidigung und Sport der Republik Österreich und dem Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend militärische Geoinformation
- Global Positioning System Precise Positioning Service Performance Standard
- Information on Multifunctional Information Distribution System (MIDS), Defense Security Cooperation Agency Policy 12-07
- Chairman of the Joint Chiefs of Staff Manual Link 16 Joint Key Management Plan
- Network Centric Warfare 101 Fundamentals, JTIDS/MIDS
- Fins-100 navigation system
- Navex-100
- M428 MKXIIA & Mode S IFF Transponder
- Thales EuroMIDS MIDS-LVT
- BAE Systems MIDS Low Volume Terminal
- Leonardo Electronics MIDS-LVT
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