Zwei Tage nach der Bundestagswahl plant der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz noch vor seiner Angelobung ein Mega-Rüstungspaket – wie Bloomberg News berichtet. CDU- und SPD-Funktionäre diskutieren demnach, wie die deutsche Schuldenbremse – die 2024 die Ampelregierung gesprengt hat – umgangen werden kann, um Sondermittel für die Bundeswehr freizugeben. Merz will Rüstungsausgaben „in einer neuen Dimension” tätigen und hat hierzu Gespräche mit den Sozialdemokraten aufgenommen. Ziel ist es, bis zu 200 Milliarden Euro an Verteidigungs-Sonderausgaben zu realisieren.
Dafür ist eine zügige Abstimmung im Bundestag entscheidend, da im neuen Parlament eine Sperrminorität von AfD und Linkspartei besteht und selbst bei Unterstützung der Grünen die notwendige 2/3-Mehrheit für eine Überschreitung der verfassungsmäßigen Schuldenobergrenze fehlen könnte.
Eine tiefere Zeitenwende
Vor drei Jahren, als Olaf Scholz erstmals von einer „Zeitenwende” sprach, standen die Europäer noch mit der westlichen Supermacht an ihrer Seite – heute jedoch sind sie angesichts neuer Herausforderungen, wie der jüngsten pro-russischen UN-Sicherheitsratsresolution und Vorfällen in München, weitgehend auf sich allein gestellt. Militäranalysten wie Oberst Markus Reisner (-> Interview mit Militär Aktuell), Franz Stefan Gady und Carlo Masala (-> Interview mit Militär Aktuell) warnen, dass Putins Armee bis 2029 in der Lage sein könnte, NATO-Gebiet anzugreifen. Zudem besteht die Sorge, dass ein teilweiser Rückzug der aktuell in Europa stationierten US-Soldaten – etwa die 20.000, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine (-> aktuelle Meldungen aus dem Ukraine-Krieg) ins Baltikum sowie nach Polen und Rumänien verlegt wurden (-> Trump plant den Abzug von 20.000 Soldaten aus Europa) – die transatlantische Sicherheit weiter schwächen könnte. Europa muss sich daher darauf einstellen, zunehmend eigenständig handeln zu müssen, um künftig schlagkräftige Streitkräfte zu besitzen – Maßnahmen, die längst hätten ergriffen werden müssen.
Frankreich geht voran
Während über die konkreten Aufrüstspläne in Deutschland noch wenig bekannt ist, reagiert Frankreich bereits sehr konkret. Während einer kürzlichen Reise von Emmanuel Macron zu Donald Trump in Washington, bei der der Aggressor in der Ukraine unmissverständlich benannt wurde, erklärte Verteidigungsminister Sébastien Lecornu in einem ausführlichen Interview mit Le Parisien, dass Frankreich allmählich in eine Kriegswirtschaft übergeht. Trotz der weiterhin bestehenden transatlantischen Bindung betonte Lecornu: „Unser Verbündeter wird unberechenbar.”

Unter dem Druck von Präsident Macron schaltet der französische Verteidigungssektor einen Gang höher. Lecornu kündigte für den 20. März eine „Veranstaltung zur Kriegsfinanzierung” an, bei der private Investoren und Rüstungsunternehmen zusammengebracht werden sollen, um die Aufrüstungsbemühungen zu finanzieren. Dabei hebt er hervor:
- Die Produktion landgestützter Ausrüstung wie Caesar-Geschütze und 155-Millimeter-Granaten ist deutlich gestiegen – 78 Einheiten gehen in die Ukraine, ergänzt durch 80.000 Garanten jährlich.
- Der Einsatz von Drohnen und elektronischer Kriegsführung muss beschleunigt werden, da moderne Truppen nicht ohne Drohnen auskommen dürfen.
- Die Marine soll von 15 auf 18 Fregatten aufgestockt werden, um maritime Interessen in allen Weltregionen abzusichern.
- Die Luft- und Raumfahrtstreitkräfte sollen mit 20 bis 30 zusätzlichen Rafale-Kampfflugzeugen verstärkt werden.
Nukleare Abschreckung und europäische Sicherheitsstrategien
Auch die nukleare Abschreckung, bislang vor allem Aufgabe der USA, steht im Umbruch. Es ist unklar, wie sich die in Büchel und Aviano stationierten US-Kernwaffen (je etwa 20 B-61-12) künftig entwickeln. Laut dem britischen Telegraph wäre Präsident Macron bereit, französische Rafale-Jets mit Atomwaffen in Deutschland zu stationieren – ein Schritt, der eine starke Botschaft an Wladimir Putin senden könnte. CSU-EU-Politiker Manfred Weber, Chef der Konservativen (EVP) im Europaparlament, befürwortet Macrons Vorstoß: „Die neue geopolitische Lage erfordert, dass die Bundesregierung in einem konstruktiven Dialog mit Frankreich und anderen europäischen Partnern alle Optionen zur Verbesserung der europäischen Sicherheit prüft.”
Wachstum in der Verteidigungsindustrie
Der französische Verteidigungssektor entwickelt sich zudem zu einem bedeutenden Wachstumsmarkt. Derzeit sind dort rund 210.000 Menschen beschäftigt – zehn Prozent mehr als 2020. Die Exporte der französischen Rüstungsunternehmen machen etwa 20 Prozent der gesamten französischen Exporte aus. Zwischen 2019 und 2023 wurden beispielsweise 94 Rafale-Kampfflugzeuge verkauft, und die Rüstungsexporte stiegen um 47 Prozent.
Im Rahmen der NAVDEX-Messe in Abu Dhabi konnte Militär Aktuell im Zollhafen Zayed Port eines der neuesten „Kronjuwelen” Frankreichs besichtigen: die zweite von der Naval Group in Lorient gebaute Mehrzweckkorvette der Gowind-Klasse. Die „Al Emarat” wurde am 27. Juni 2024 an die Marine der Vereinigten Arabischen Emirate übergeben. Gleich daneben lag die „HS Hydra”, eine von vier Meko-200HN Fregatten der griechischen Marine, die in den 1990er-Jahren bei Blohm + Voss in Hamburg gebaut wurde.
Diese Entwicklungen zeigen, dass Europa vor einer grundlegenden Neuausrichtung seiner Sicherheits- und Verteidigungsstrategie steht – von ambitionierten Rüstungsplänen in Deutschland über konkrete Aufrüstmaßnahmen in Frankreich bis hin zu einem wachsenden Verteidigungsmarkt, der als wirtschaftlicher Wachstumsmotor fungiert.