CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier teilte dem Wirtschaftsausschuss des deutschen Bundestags vor wenigen Tagen in einem Schreiben mit, dass der Bundessicherheitsrat Anfang April grünes Licht für zahlreiche Rüstungsexporte im Volumen von mehr als einer Milliarde Euro gegeben hat.
Dabei ging der Anteil der – besonders umstrittenen – Exporte in sogenannte Drittländer, die weder der EU noch der NATO angehören oder mit diesen gleichbehandelt werden, im Vergleich zum Vorjahr zwar von 52,9 auf 44,2 Prozent zurück, die absoluten Zahlen stiegen allerdings an. Nach Jahren des Rückgangs haben sie für 2019 sogar eine neue Höchstmarke erreicht: Die meisten Lieferungen wurden Ungarn (1,77 Milliarden Euro) zugestanden, gefolgt von Ägypten und den USA. Über die einzelnen Geschäfte gibt die Bundesregierung im Detail keine Auskunft, um Rückschlüsse auf die Kaufpreise zu verhindern. Jene sind aber aus Fachmedien ohnehin zumindest grob bekannt.
So erlaubte das Gremium unter anderem den Export von Munition und Zünder im Wert von 179 Millionen Euro aus der Produktion von Rheinmetall an das Golfemirat Katar. Sie gehören zu den 62 bereits zuvor dorthin exportierten Leopard 2A7+ Panzern und 24 Artillerie-Haubitzen PzH 2000. Das 1,9 Milliarden Euro Paket umfasste außerdem 24 Flak-, sechs Bergepanzer und rund 250 gepanzerte Radfahrzeuge wie Militärtransporter Dingo und Spähwagen Fennek.
Interessant ist die Ausfuhrgenehmigung an die Philippinen, weil die deutsche Diehl Raytheon Missile Systems GmbH nach Angaben des technischen Dienstes der dortigen Luftwaffe der einzige Hersteller der legendären Luft-Luft-Lenkwaffe Siderwinder ist, von welcher 72 in der Version AIM-9L/I-1 („Lima-Improved”) für die Bewaffnung der von Südkorea beschafften leichten Kampfflugzeuge KAI FA-50 benötigt werden. Die noch vorhandenen uralten AIM-9B stammen noch aus F-8 Crusader-Zeiten und sind längst funktionsunfähig. Raytheon selbst baut nur mehr AIM-9X.
Die Marine Pakistans hat 2018 und 2019 bereits zwei Seeaufklärer beziehungsweise Marinepatrouillenflugzeuge auf Basis gebrauchter ATR-72 Turboprop-Verkehrsflugzeuge erhalten. Nun kann Rheinland Air Services aus Mönchengladbach eine dritte Maschine – bewaffnet mit zwei Torpedos – anhängen.
Der Bundessicherheitsrat hat außerdem einen Antrag des Rüstungsunternehmens ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) über die Lieferung eines weiteren U-Boots des 209/1400mod-Typs an Ägypten genehmigt. Bereits am 3. Mai 2019 fand auf dem Kieler Gelände der TKMS durch Vizeadmiral Ahmed Khaled, Oberbefehlshaber der ägyptischen Marine, die Taufe von S43 statt, dem dritten von vier bestellten konventionellen U-Booten. S43 folgt seinen Schwesterbooten S41und S42 (= die Baunummer 448), die im Dezember 2016, respektive August 2017 ausgeliefert wurden. S44 kann nun im Jahr 2021 folgen. Die U-Boote dieser Klasse sind mit acht 533mm Torpedorohren bewaffnet und können maximal 14 Torpedos mitführen. Alternativ ist auch das Mitführen von Seezielflugkörpern des Typs AGM-84 Harpoon möglich. Die maximale Geschwindigkeit über Wasser liegt bei 11,5 Knoten (21 km/h) und getaucht bei 22 Knoten (40,744 km/h). Die Baureihe wurde ursprünglich von Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) für den Export entwickelt, es gibt fünf Varianten (209/1100, 209/1200, 209/1300, 209/1400 und 209/1500) von denen insgesamt mehr als 60 Stück in zwei Dutzend Länder verkauft wurden. Unklar bleibt, ob die ägyptischen Boote den als sensationell leise bewiesenen außenluftunabhängigen Antrieb (AIP) haben.
Die Lieferungen an das von Staatschef Abdel Fattah al-Sisi mit harter Hand regierte Land sind wegen der Menschenrechtslage dort umstritten, aber auch weil Ägypten zu der von Saudi-Arabien geführten Kriegskoalition arabischer Länder im Jemen zählt. Ägypten war dennoch bereits 2018/2019 mit der Bestellung von Rüstungsgütern für 802 Millionen Euro drittbester ausländischer Kunde der deutschen Hersteller. Abgesehen den U-Booten liefert TKMS auch drei Meko-A200 Fregatten im Wert von 2,3 Milliarden Euro an Ägypten, welche laut deutschen Medienberichten von der Bundesregierung via Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages unterstützt werden. Der Ankauf der MEKO in Deutschland erfolgte trotz heftiger Konkurrenz der französischen Naval Group, der Bau sichert Arbeitsplätze im deutschen Überwasserschiffbau bis weit ins nächste Jahrzehnt. Die neuen Schiffe entsprechen im Kern einem Entwurf, den TKMS unter anderem an Südafrika und Algerien geliefert hat. Beide Nationen waren mit den Fregatten aus Kiel dem Vernehmen nach hochzufrieden. Seit den 1970er-Jahren wurden insgesamt 60 Stück gebaut. Die positiven Erfahrungen damit haben sich in Folge auch in Ägypten herumgesprochen. Die Fregatten der Klasse Meko-A200 sind knapp 120 Meter lang und verdrängen 3.400 Tonnen. Die Bewaffnung der zuletzt für Algerien gebauten Schiffe umfasst ein umfangreiches Arsenal aus Flugkörpern, Torpedos und Geschützen. Hinzu kommen zwei Bordhubschrauber, Einsatzboote und Ausrüstung für die Aufklärung.
Parallel dazu wurden auch vier Kriegsschiffe für Israel genehmigt. Bei den German Naval Yards in Kiel sind – im Unterauftrag von TKMS – gerade vier Korvetten gemäß der Entwurfsvorlage des Tys Meko-A100‘für Israel im Bau. Genannt Sa’ar-6, erhielt TKMS im Mai 2015 den entsprechenden Auftrag, das Design der Schiffe zu entwickeln. Sa’ar-6 hat eine stärkere Bewaffnung und die Fähigkeit zur Aufnahme eines Bordhubschraubers und bis zu zwei Drohnen. Allerdings werden die Einheiten „im Rohbau“ zur Israel Shipyards nach Haifa überführt, wo die Installation der Waffen und Sensoren erfolgen soll. Die operative Einsatzfähigkeit des ersten Schiffes wird nicht vor Ende 2021 erwartet.
Aktuell baut derselbe Konzern für die Türkei gemeinsam mit türkischen Unternehmen sechs U-Boote des Typs 214 mit Materiallieferungen aus Deutschland. Thyssenkrupp unterstützt damit die Bestrebungen des – ob der völkerrechtswidrigen Interventionen in Syrien Anfang 2018 und im Herbst 2019 zunehmend problematischen – NATO-Partners nach rüstungstechnischer Autonomie. Hensoldt Optronics (aber über die Tochter in Südafrika) liefert zudem für ein Upgrade der älteren türkischen 209/1400-U-Boote der Preveze-Klasse optronische Masten OMS 100 und SERO 400 Periskope.
TKMS will übrigens auch mit Brasilien ins Geschäft kommen. Die aufstrebende Militärmacht Südamerikas möchte von den Deutschen Korvetten der Klasse 130 kaufen, die Verhandlungen sind angeblich fast abgeschlossen. Mit im Boot ist auch der brasilianische Flugzeugbauer Embraer. Hier macht sich innerdeutsche Kritik daran am autokratisch agierenden Präsidenten Bolsonaro fest, der zuweilen außen- wie innenpolitisch unberechenbar auftritt.
Der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Ulrich Nußbaum weist in einer Anfragebeantwortung darauf hin, dass „die Summe der Genehmigungswerte eines Berichtszeitraums allein kein tauglicher Gradmesser für eine bestimmte Rüstungsexportpolitik ist. Die Art der exportierten Güter und der Verwendungszweck müssten berücksichtigt werden.” So hat die Bundesregierung gegen Saudi-Arabien selbst unter anderem wegen des Jemen-Krieges und des Kashoggi-Mordes einen Rüstungsexportstopp verhängt und kürzlich bis Ende 2020 verlängert. Dies blockiert laut BAE-Systems auch multinationale Produkte wie beispielsweise eine 2017 akkordierte weitere Tranche von 48 Eurofightern für Riadh.
Im Dezember kippte das Verwaltungsgericht in einem aufsehenerregenden Prozess allerdings das Ausfuhrverbot für Rüstungsgüter. Sieger im Saal war die Rheinmetall Military Vehicles GmbH, eine Tochter des Rheinmetall-Konzerns. Sie klagte gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil nach Meinung des Unternehmens der Großteil eines Großauftrags für Saudi-Arabien von einer schlecht begründeten Entscheidung seitens der Bundesregierung sabotiert wurde. 90 von 110 Schwerlastfahrzeugen für den Wüstenstaat stehen seitdem nutzlos auf einem Parkplatz. Die Verhandlung leitete der Präsident des Verwaltungsgerichts, Rainald Gerster. Die Vertreter des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mussten sich von ihm in der Belehrung einige deutliche Worte gefallen lassen. „Bei einem Referendar würde ich sagen, die Subsumtion ist ein bisschen dürftig”, erklärte er zur Qualität des Bescheids an Rheinmetall. Zudem könne das Gericht nur schwer nachvollziehen, warum der Mord an Khashoggi überhaupt eine besondere Zäsur darstellen sollte. „Saudi-Arabien war ein problematischer Staat, ist ein problematischer Staat und wird immer einer bleiben”, sagte Gerster. Dennoch habe ja die Bundesregierung die Genehmigung für die Militär-LKWs ursprünglich erteilt. Im folgenden Urteil hob das Verwaltungsgericht das „faktische Ausfuhrverbot wegen formeller Fehler” auf, teilte das Gericht mit. Grund seien „Begründungsdefizite”. Außenwirtschaftliche Entscheidungen seien nicht wegen der außen- und sicherheitspolitischen Beurteilungen von vornherein jeglicher Begründungspflicht entzogen. Das Urteil war eine verwaltungsjuristische Ohrfeige und politische Blamage zugleich. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein lokales Verwaltungsgericht der Bundesregierung – wie es heisst – „Anfängerfehler” in international bedeutungsvollen Entscheidungen ankreidet.