Am 13. Oktober forderte die deutsche Luftfahrtindustrie von der Regierung in Berlin einen raschen Entscheid über einen neuen Eurofighter-Auftrag. Laut dem Branchenverband BDLI benötige es eine weitere fünfte Tranche nur für Deutschland, um ein Aus für den Bau von Kampfflugzeugen im Land und damit den Verlust von Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen und Spitzentechnologie zu verhindern.
Eine erfolgreiche #Zeitenwende braucht ein starkes #Eurofighter-Programm in 🇩🇪. Das war meine Botschaft auf der PK des @BDLI. Jetzt müssen wir die Frage beantworten: Wollen wir in 🇩🇪 langfristig den militärischen Flugzeugbau halten? Lautet die Antwort ‚ja‘, hat 🇩🇪Handlungsbedarf. pic.twitter.com/ucTXOj80bG
— Michael Schoellhorn (@SchoellhornMike) October 13, 2023
Untermauert wurde die Warnung mit einer zuvor vom Verband in Auftrag gegebenen Studie der Unternehmensberatung PwC, wonach der Eurofighter für 25.000 Arbeitsplätze in Deutschland und weitere 75.000 in Europa stehe, rund 120 Zulieferfirmen in Deutschland seien daran beteiligt. Es stünden demgegenüber aber mit 58 so wenige Maschinen in den Büchern wie nie zuvor, die Produktion in Deutschland laufe nach jetzigem Planungsstand im Jahr 2030 mit der Lieferung der letzten Maschine für die 38 Stück aus Quadriga (als Ersatz für Tranche-1) für die Bundeswehr und 20 Stück aus Halcon für die spanische Luftwaffe (Ersatz für frühe EF-18AM/BM Hornet) aus.
Allerdings: Spanien hat Mitte September den Vertrag Halcon-II für weitere 25 neue Eurofighter der Tranche-4 um insgesamt 1,4 Milliarden Euro bis 2027 unterzeichnet. Demnach beläuft sich die Zahl „in den Büchern” aktuell eigentlich auf 83 Maschinen.
Lücke von 10 Jahren
Weil das – immer von französischen Langfrist-Zweifeln versus Deutschland geplagte – künftige europäische Luftkampfsystem FCAS wohl erst ab 2040 einsatzbereit sein soll, bestehe eine Lücke von zehn Jahren ohne Aufträge für die heimischen Branchenvertreter, heißt es von Seiten der deutschen Industrie. Im Eurofighter-Werk Manching bei Ingolstadt arbeiten rund 5.800 Beschäftigte, die Bundeswehr bezeichnet die 138 Eurofighter der Luftwaffe als das Rückgrat der deutschen Kampfflugzeugflotte und als Kernelement zur Sicherstellung des künftigen Beitrages der Luftwaffe zum geforderten Fähigkeitsprofil der Streitkräfte und den damit verbundenen Bündnisverpflichtung.
Airbus Defence & Space-Chef Michael Schöllhorn ist zugleich auch der BDLI-Präsident. Laut ihm müsse der Auftrag für neue Eurofighter rasch die industrielle Brücke zur Zukunft schlagen. Konkret wünscht er sich dazu ein klares Bekenntnis der Bundesregierung für neue Bestellungen, derzeit diskutiert der Konzern mit dem Bund über den Zuschlag für eine weitere Tranche. Schöllhorn sagte in einer eigens einberufenen Pressekonferenz, deren Inhalt von diversen deutschen Medien wiedergegeben wurde: „Wenn Deutschland auch künftig Militärflugzeuge bauen will, muss der Vertrag dafür unterzeichnet werden. Das heißt konkret: Noch in dieser Legislaturperiode – sprich im kommenden Jahr – benötigen wir die Beauftragung für die Long Term Evolution (LTE)-Weiterentwicklung des Eurofighter. Denn ab 2027 läuft bei den Zulieferbetrieben die Produktion aus, deshalb ist der Handlungsdruck so groß. Zudem fehlen andernfalls die technologischen Grundlagen für FCAS.”
„Wenn Deutschland auch künftig Militärflugzeuge bauen will, muss der Vertrag dafür unterzeichnet werden.“
Airbus Defence & Space-Chef Michael Schöllhorn
Weitere „Baustellen”
Jener ist aber noch sehr fern. Zuvor erhalten die deutschen Eurofighter der Tranchen-2 und -3 in den nächsten Jahren ein neues AESA-Radar und werden durch diese Einrüstung pro Flugzeug wohl mehrere Monate „ausfallen”. In Folge müssen – dem Vernehmen nach – im Sinne des sogenannten „bruchfreien Erhalts der derzeitigen operationellen Fähigkeiten” aus der Tranche-1 bis zum Ersatz durch Quadriga nochmals 2.000 oder gar 3.000 Stunden „herausgepresst” werden. Dazu soll noch heuer die oder eine älteste Zelle vollständig zerlegt und im Sinne der Feststellung einer möglichen oder erwartbaren Rest-Lebensdauer genau analysiert werden. Die deutsche Musterzulassung und die NATO-Behörde NETMA (NATO Eurofighter/Tornado Management Agentur) haben diesbezüglich einst eine Benchmark von 25 Jahren gesetzt – wohlgemerkt nicht gerechnet ab dem Datum der Auslieferung, sondern ab Produktion der Bauteile.
Heute gibt man zu, dass man dies besser an Betriebsstunden als an Jahre hätte binden sollen – und das hat übrigens auch Relevanz auf die österreichischen Tranche-1-Jets. Von den 15 (statt ursprünglich geplanten 18) rot-weiß-roten Maschinen stammen ja – dank eines „segensreichen” Vergleichs von 2007 – sechs Stück mit damals bereits einigen hundert Flugstunden aus den Beständen der deutschen Luftwaffe (GS-Kürzel für German Single auf der Leitwerkswurzel). Im Vertrag von 2003 sind zwar 30 Jahre Nutzungsdauer ab Erstauslieferung im Juli 2007 festgehalten, wiewohl sich die heimische Zulassung auf die erwähnte deutsche Musterzulassung abstützen soll. Folglich wird oder wurde Wien bereits wiederholt als G2G-Maßnahme zum „Mitmachen” bei den Tranche-1-Lebensdauerverlängerungsmaßnahmen eingeladen, weil die deutsche Luftwaffe diese Investitionen ohnehin tätigen müsse. Die relevante Ebene im BMLV sieht aber eher den Hersteller Eurofighter Jagdflugzeug GmbH beziehungsweise dahinter EADS (heute Airbus Defence & Space) in der Verpflichtung punkto 30 Jahre – eine Entscheidung dazu harrt. Das Zeitfenster dafür und im Zusammenhang mit der geplanten Fähigkeitserweiterung wird irgendwann 2024 zugehen. Jedenfalls wird der Ministerrat einer nächsten Regierung – angesichts jahrelanger Vorlaufs- sowie Lieferzeiten – einer Entscheidung über die Nachfolge der österreichischen Tranche-1-Maschinen nicht entkommen.
Was in Deutschland neben jener Tranche-1-Streckung und deren Ersatz durch Quadriga bis 2030 und der – zum Ärgernis von FCAS-Partner Dassault – Beschaffung der 35 Stück F-35A, sowie den 15 – bisher nur als Grafik existierenden – 15 Eurofightern zur elektronischen Kriegsführung (ECR beziehungsweise EK, offenbar mit Saab-Sensoren) und Bekämpfung der Luftabwehr trotzdem noch offen ist, ist ein vollständiger Ersatz für die (Stand 2022) noch 85 seit 1981 betriebenen Schwenkflügler PA-2000 Tornado.
Jene einst 357 Maschinen starke Flotte teilt sich in den Einsatz- und Ausbildungsverbänden in Jagdbomber IDS (Interdiction Strike) und die in die NATO eingemeldete Spezialrolle ECR (Electronic Combat and Reconnaissance). Zudem sind alle Tornados mit dem Airborne Reconnaissance II-Behälter auch zur optischen und Infrarot- Aufklärung (RECCE) befähigt und können sich mit einem Schlauchtrommelbehälter (Buddy-Buddy) gegenseitig auftanken. Außerdem erhielten alle noch vorhandenen 85 ECR und IDS erst bis 2019 die Avionics System Software for Tornado in Ada 3-Modernisierungsstufe (ASSTA 3 beiehungsweise 3.1). Neben neuen Bildschirmen für den Waffensystemoffizier im hinteren Cockpit und einer Verbesserung der Kommunikations- beziehungsweise Datenlinksysteme, wurden sie für die Verwendung moderner Präzisionslenkwaffen sowie dem Reccelite-Behälter in der erwähnten Aufklärerrolle ausgerüstet.
Ob und welche beziehungsweise wieviele Plattformen und mit welchen Subsystemen diese Fähigkeiten künftig abdecken werden, ist aktuell aber noch Gegenstand von Spekulationen. Die Verantwortlichen haben dazu – zumindest öffentlich – noch keine Angaben gemacht.
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