Typhoon FGR4 der Royal Air Force haben kürzlich zum ersten Mal den konventionell bestückten Storm Shadow-Marschflugkörper im scharfen Einsatz verwendet. Angaben des britischen Verteidigungsministeriums zufolge wurden mit der 1,3 Tonnen schweren und fünf Meter langen Waffe im Rahmen der Operation „Shader” am 11. März Ziele des Islamischen Staats südwestlich der Stadt Erbil im Nordirak angegriffen.
Die Waffe war zuvor bereits ab 2002 an den Tornados GR4 der RAF eingeführt und in der Endpase des Irakkrieges 2003 sowie 2011 über Libyen zum Einsatz gekommen, die Maschinen wurden allerdings 2019 ausgeschieden.
Nachdem die irakischen Streitkräfte eine „bedeutende Zahl von IS-Kämpfern” in einem Höhlensystem identifiziert hatten, wurde der Storm Shadow „als die am besten geeignete Waffe” für die Mission ausgewählt. Anschließend wurden zwei auf der RAF-Basis Akrotiri auf Zypern stationierte Taifun-FGR4 mit der Mission beauftragt, unterstützt wurden sie von Bodentruppen des irakischen Anti-Terror-Dienstes (CTS). Dem Einsatz ging tags zuvor eine Überwachung des Gebiets durch das CTS voraus, um zu bestätigen, dass keine Zivilisten gefährdet waren. Die Waffen haben laut Verteidigungsministerium „ihre Ziele punktgenau getroffen”.
Am selben Tag erfolgten Folgeangriffe in derselben abgelegenen, bergigen Gegend, diesmal durch zwei andere RAF-Typhoons welche sechs 500-Pfund Paveway-IV Dual-Mode-Präzisionsbomben gegen ISIS-Kämpfer einsetzten. Eine andere Gruppe von Höhlen wurde am 12. März angegriffen, wobei Typhoons insgesamt acht Paveway-IV zum Einsatz brachten. Zwei Tage später kamen erneut sechs Stück der Waffen zum Einsatz. „Bei jedem Einsatz hat unsere Besatzung mit größter Sorgfalt überprüft, ob es keine Anzeichen von Zivilisten in der Gegend gab”, betont das Verteidigungsministerium in London. Diese jüngsten Missionen bestätigen, dass die RAF – obwohl das Tempo der offensiven Luftoperationen im Nahen Osten deutlich abgenommen hat – immer noch auf Abruf und bei Bedarf in der Region aktiv ist.
Projekt „Centurion”
Um das Abstellen des Tornados zu ermöglichen, musste Großbritannien zunächst sicherstellen, dass auch der Typhoon die wichtigste und schwerste Luft-Boden-Waffe – gemäß den Einrüstungsphasen des Aufwertungsprogamms „Centurion” – einsetzen kann. „Centurion”-Modifikationen erreichten Anfang 2018 die „Frontlinie” der RAF-Typhoons, beginnend mit der Langstrecken Luft-Luft-Rakete Meteor (BVR – außerhalb der Sichtweite) und im Rahmen der Phase-2-Verbesserung (P2E) der Storm Shadow. Unter P3E wurde dann auch Brimstone (ein moderneres britisches Equivalent zur amerikanischen Hellfire) hinzugefügt, die bereits Anfang 2019 erstmals von RAF-Typhoons im Kampf eingesetzt wurde. Die Paveway-IV Lenkbombe war schon davor für den FGR4 verfügbar. Angesichts der Tatsache, dass der Storm Shadow also seit etwa drei Jahren zur Verfügung steht, scheint es überraschend, dass er bisher nicht im Kampf eingesetzt wurde. Diese Abstandswaffe ist jedoch – wie der Hersteller MBDA betont – „darauf ausgelegt, die anspruchsvollen Anforderungen vorgeplanter Angriffe auf stationäre hochwertige, verbunkerte und feste Ziele zu erfüllen”. Bevor der Storm Shadow in den Typhoon integriert wurde, lieferte der Luftkrieg im Irak und in Syrien nicht viele entsprechende Ziele. Die Waffe wurde jedoch im April 2018 von Tornados während der Raketenangriffe der Koalition gegen Standorte eingesetzt, die mit dem Chemiewaffenarsenal der syrischen Regierung in Verbindung stehen.
Nicht zuletzt dank der Stückkosten von knapp eine Million Euro dürfte Storm Shadow aber eine „Nischenwaffe” der RAF bleiben. Die Tatsache, dass er jetzt im Kampf eingesetzt wurde, unterstreicht jedoch die Mehrzweckrolle des Typhoon und seinen Status als Rückgrat der britischen Jetflotte.
900 Stück in britischem Bestand
Das Leitsystem des Marschflugkörpers (Air Launched Cruise Missile) kombiniert ein Trägheitsnavigationssystem mit GPS und Geländereferenzierung. Er erreicht mittels Eigenantrieb durch einen Safran TRI 60-30 Turbojet eine Geschwindigkeit von bis zu 800 km/h, bei einer Reichweite von mehr als 250 Kilometern. Somit bleibt das Trägerflugzeug weit außerhalb der Reichweite der meisten militärischen Flugabwehren und natürlich auch der IS-Luftverteidigung. Auf aktuellen Fotos aus Akrotiri sind auf den Maschinen daher auch nur eine AIM-120 BVR-Lenkwaffe links vorne und zwei AIM-132 ASRAAM IR-Kurzstreckenwaffen zur Verteidigung zu sehen. Der 450 Kilogramm schwere sogenannte Broach-Sprengkopf (Penetrationsgefechtskopf) ist vom sogenannten Tandemtyp, der das Eindringen von gehärteten Zielen wie Bunkern oder eben natürlichen Höhlenkomplexen gewährleistet. Der Gefechtskopf verwendet eine Vorläuferladung, um gehärtete Strukturen zu durchdringen, gefolgt von der Hauptladung (die bei Bedarf auch für den Penetrationsmodus ausgelöst werden kann). Das bedeutet, dass sie erst nach dem Durchbrechen des Ziels detoniert. Für Broach wird eine Durchschlagsleistung von 3,4 bis 6,1 Meter Stahlbeton oder 6,1 bis 9,1 Meter Erdboden angegeben. Bei Stückkosten von rund einer Million Euro hat die RAF – laut Jane’s ALW – 900 Stück im Bestand.
Weitere Nutzer
Leicht abgewandelte Varianten sind die SCALP an den Rafále der französischen Luftstreitkräfte und Black Shaheen für die Mirage-2000/9 der Vereinigten Arabischen Emirate – dort allerdings mit etwas reduzierter Reichweite. Storm Shadow wurde von Saudi-Arabien mit Tornados der Royal Saudi Air Force während seiner Kampagne 2016 gegen die Houthi-Rebellen im Jemen im Kampf eingesetzt. Es ist nichts bekannt, ob auch saudische Typhoons Storm Shadow einsetzen können. Frankreich hat zudem SCALP an Ägypten und Indien exportiert. Eine Marineversion derselben Waffe wurde auch für den Start durch Oberflächenkriegsschiffe und U-Boote entwickelt.