„Der Krieg reicht heute vom Schützengraben bis in den Weltraum”, sagt Brigadier Wolfgang Luttenberger. Als Kommandant der Luftunterstützung beschreibt er, wie sich die Militärluftfahrt rasant wandelt und digitale Kriegsführung zur zentralen Herausforderung wird.
Brigadier Wolfgang Luttenberger erzählt gerne die Geschichte von einem britischen Offizier, der ihn beim Kauf der Hercules-Transportmaschinen Anfang der 2000er-Jahre fast wie einen Provinzvertreter behandelte. Man bot ihm Sightseeing an, er bestand stattdessen darauf, jedes Detail der Flugzeuge zu sehen und mit den Mechanikern zu sprechen. Wenige Stunden später war klar: Österreich würde die Maschinen nicht nur kaufen, sondern in genau der Konfiguration, die man wollte. Und die britische Seite staunte über die Hartnäckigkeit der vermeintlich kleinen Nation.
Getroffen hat Militär Aktuell den Kommandanten der Luftunterstützung am Fliegerhorst Langenlebarn, wo wenige Minuten zuvor ein supermodernes Simulatorgebäude für den Leonardo AW169M eröffnet worden war. Für Brigadier Luttenberger und seine Mitarbeiter ist das keine Randnotiz, sondern unmittelbarer Alltag: modernste Ausbildung, zusätzliche Kapazitäten, mehr Möglichkeiten, Piloten auf Extremsituationen vorzubereiten.
Spontan setzte er sich mit der Redakteurin in die Werkshalle der dort ansässigen Fliegerwerft, zwischen Werkzeugwagen, Hydraulikpressen, Ersatzteilen und den offenen Rümpfen der Hubschrauber. Wenige Meter entfernt stand ein Black Hawk, an dem gerade geschraubt wurde. In dieser Umgebung, die nach Schmieröl und Metall roch, begann ein Gespräch über Verantwortung, Veränderungen und die Zukunft des Bundesheeres.

Herr Brigadier, Sie verantworten die gesamte Luftunterstützung des Bundesheeres (-> Militär Aktuell-Truppenbesuch bei der Luftunterstützung). Was umfasst das konkret?
Ich habe die Verantwortung für fast alles, was militärisch in der Luft fliegt, sobald es nicht um Kampfjets geht. Dazu gehören die C-130 Hercules, unsere Pilatus PC-6 Porter, die S-70 Black Hawks, die OH-58 Kiowa, die Agusta Bell 212 sowie die neuen Leonardo AW169. Von Vorarlberg bis Niederösterreich betreiben wir Hubschrauberstützpunkte und Flugplätze, die größte Werft steht in Hörsching, wo auch mein Kommando sitzt. Wer bei uns hineingeht, sieht komplexe Maschinen, Ersatzteile und Crews, die bei Tag und Nacht im Einsatz sind. Wir sind das Rückgrat für Transporte, Einsätze im Inland und internationale Missionen.
Was verändert sich im Moment in Ihrem Bereich am stärksten?
Wir haben mehrere Umstellungen gleichzeitig. Ältere Modelle wie die Bell OH-58 Kiowa werden durch hochmoderne Systeme ersetzt. Die Agusta Bell 212 erreichen bald das Ende ihrer Lebensdauer und werden durch die neueste Version des Black Hawk abgelöst. Auch die C-130 Hercules werden bis zum Ende des Jahrzehnts durch brasilianische Embraer C-390M (-> Bau der ersten C-390M für das Bundesheer hat begonnen) ersetzt. Dazu kommen Drohnenprojekte, sowohl bemannte als auch unbemannte Aufklärungssysteme. Parallel bauen wir unsere Simulatorlandschaft auf. Für den neuen Black Hawk bekommen wir in Hörsching erstmals einen eigenen Simulator, damit die Crews schon vorbereitet sind, bevor die ersten Maschinen eintreffen.
Was bedeutet das für die Pilotenausbildung?
Früher war der Pilot klassisch mit analogem Fliegen beschäftigt. Heute ist er Teil eines digitalen Systems. Moderne Hubschrauber sind praktisch fliegende Computernetzwerke. Alle 28 Tage werden Datenbanken aktualisiert. Wer das nicht akzeptieren kann, wer nicht damit umgehen kann, der kann auf diesem System nicht bestehen. Deswegen brauchen wir Teams, die Erfahrung und Intuition mitbringen, aber auch digitale Selbstverständlichkeit.
Welche Szenarien hatte man vor 20 Jahren im Kopf, wenn es um die Luftsicherheit im Jahr 2025 ging?
Damals sprach man von einer zehnjährigen Vorwarnzeit. Das bedeutete: Wenn sich ein Konflikt abzeichnet, haben wir zehn Jahre Zeit, um Systeme hochzufahren, Verfahren zu entwickeln und Personal auszubilden. Man orientierte sich damals an Szenarien aus dem Jugoslawienkrieg. Sprich: Österreich selbst wird nicht direkt angegriffen, ist aber massiv betroffen. Daraus ergab sich die Frage: Wie viele Kampfflugzeuge brauchen wir für Luftraumsicherungsoperationen? Aufgrund der Berechnungen kamen wir damals auf rund 32. Die Schweiz kaufte in derselben Zeit 33 F/A-18 Hornet. Das hat gezeigt: Wir lagen sicher nicht falsch.
„Früher war der Pilot klassisch mit analogem Fliegen beschäftigt. Heute ist er Teil eines digitalen Systems.“
Was bedeutete das für die damalige Planung?
Wir haben daraufhin 30 Jets ausgeschrieben, 24 Einsitzer und sechs Doppelsitzer. Politisch wurde dann mehrmals reduziert, am Ende blieben 15 Eurofighter Typhoon übrig. Militärisch wäre die erforderliche Zahl höher gewesen.
Und was änderte die Krim-Annexion 2014?
Das war der Moment, in dem mir klar war: Nun läuft die Vorwarnzeit. In Strategiepapieren stand ja, wir hätten zehn Jahre. Aber niemand hat der Politik offensichtlich klar gesagt: Die zehn Jahre beginnen genau jetzt. Denn wenn sie vorbei sind, ist es vielleicht zu spät.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Krieg in der Ukraine?
Die Ukraine zeigt die Gleichzeitigkeit von zwei Ebenen der Kriegführung: Im Stellungskrieg kämpfen Soldaten wie 1914, mit dem Spaten Mann gegen Mann und mit verheerender Artillerie. Über ihren Köpfen operieren hochmoderne Drohnen, digitale Netze und Satelliten. Ein Zugskommandant kann sich mit einem 3D-Drucker Drohnenkörper bauen, eine Kamera montieren und sie starten. Dazu kommen Starlink für die Kommunikation und US-Satelliten für die Aufklärung. Das bedeutet: Krieg reicht heute vom Schützengraben bis in den Weltraum.
Wann und wie sind Sie erstmals mit Drohnen als Thema konfrontiert worden?
Vor über 20 Jahren im damaligen NATO Air Defence Committee. Ein deutscher General sagte mir damals, auf die Frage nach dem dringendsten Thema des nächsten Jahrzehnts, klar: Drohnen. Das war um 2004, 2005. Schon damals waren Überflüge von US Predator-Drohnen über Österreich ein politisches Thema. Seitdem beschäftige ich mich intensiv damit, auch mit deren Abwehr und dem elektronischen Kampf.
Viele Experten sagen, man bereite sich immer auf den falschen Krieg vor. Stimmen Sie dem zu?
Teilweise. Man kann vor allem national nicht mehr alle Szenarien gleichzeitig abdecken. Die Amerikaner planen traditionell gegen die gefährlichste Variante, Europa gegen die wahrscheinlichste. Österreich muss dabei Schwerpunkte setzen. Aber entscheidend ist: Wenn Indikatoren da sind, muss man sie ernst nehmen. Denn Wandel ist eine Konstante in der militärischen Planung.
Welche Rolle spielt Österreichs Know-how international, etwa in der European Defence Agency?
Oft werden wir unterschätzt, bis man unsere Leistungen sieht. Nach dem Brexit sind die Briten aus der führenden europäischen Hubschrauber-Taktikausbildung ausgeschieden. Österreich hat danach zeitweise diese Rolle übernommen. Wir haben Vorschriften mitentwickelt und stellen seit Jahren die Top-Instruktoren Europas. Bei den Helicopter Tactics Courses oder in der Blade-Übungsserie (-> Bundesheer-Hubschrauber bei der Übung „Fireblade”) sind wir ganz vorne dabei und darauf bin ich sehr stolz. Im neuen Multinational Helicopter Training Center in Portugal sind wir ebenso vertreten. Österreich beeinflusst europäische Standards, in einem Bereich, in dem viele uns das nicht zutrauen würden.
Wie schätzen Sie die Rolle der heimischen Industrie ein?
Österreich hat starke Firmen in Nischenbereichen. AMST etwa ist im Simulatorbereich Weltklasse, sie verkaufen ihre Simulatoren unter anderem an die deutsche Luftwaffe. FACC ist international im Flugzeugbau sehr gefragt, Diamond Aircraft oder Schiebel entwickeln auch militärisch interessante Systeme. Europa insgesamt hat historisch viele Innovationen hervorgebracht, Tarnkappentechnologien oder Druckanzüge für Jetpiloten zum Beispiel, und sie dann oft verkauft oder aus der Hand gegeben. Das Ergebnis ist, dass wir heute viele moderne Systeme nicht mehr ohne US-Freigaben betreiben können.
„Wenn ich ins Cockpit steige, lege ich meinen Dienstgrad ab. Fehler darf sich niemand leisten, egal ob General oder Unteroffizier.“
Gab es Momente, in denen Österreich international überrascht hat?
Ja, etwa beim Kauf der Hercules-Transportmaschinen Anfang der 2000er-Jahre. Die Briten haben uns anfangs behandelt, als kämen wir aus der dritten Welt. Man konnte spüren, dass sie uns technisch nichts zutrauten. Wir sind mit einer Delegation nach England geflogen, um drei Maschinen zu übernehmen. Statt dem vorgesehenen Sightseeing-Programm habe ich verlangt, dass wir alle Flugzeuge im Detail sehen, in die Technik hineinblicken und mit den Mechanikern sprechen.
Was war das Ergebnis?
Am Anfang hieß es, gewisse Dinge seien unmöglich. Zum Beispiel wollten wir sie ohne Navigator betreiben. Da sagte man sofort: Das geht nicht. Am Abend beim kameradschaftlichen Gespräch kam dann heraus, dass es in Wahrheit die Gewerkschaft war, die Arbeitsplätze sichern wollte. Später, kurz vor Vertragsabschluss, fehlten plötzlich Angebote für die Funkausstattung. Ich habe gesagt: Dann unterschreiben wir nicht. Wir haben aufgrund des Zeitunterschieds eine Nachtsitzung einberufen, und am nächsten Morgen um neun Uhr lagen die amerikanischen Angebote am Tisch.
Und Sie haben den Vertrag abgeschlossen?
Ja. Wir haben die Maschinen gekauft, mit genau den Konfigurationen, die wir wollten. Am Ende war sogar die britische Seite überrascht, wie konsequent wir aufgetreten sind. Solche Erfahrungen zeigen, dass Österreich mit der nötigen Fachkompetenz und Hartnäckigkeit durchaus Gewicht hat. Und das gilt bis heute, gerade wenn wir mit Partnern wie Italien oder den Niederlanden nun mehr gemeinsam beschaffen.
Welche Rolle spielt die Gesellschaft für das Militär?
Eine entscheidende. Wir stehen im Wettbewerb um die besten Talente. Junge Menschen erwarten Sinnstiftung, moderne Arbeitswelten und Verantwortung. Bei uns können sie in sehr jungen Jahren wichtige Aufgaben übernehmen, die es in zivilen Berufen gar nicht gibt. Aber ich möchte es auch so gestalten, dass sie bei uns bleiben wollen. Frauen haben enorm zur Akzeptanz und Professionalität beigetragen. Ich habe selbst die ersten beiden Pilotinnen für das Bundesheer ausgewählt. Inzwischen sehe ich in der Technik oder bei Lehrlingen, dass weibliche Auszeichnungen überwiegen. Das verändert unsere Kultur und Umgang nachhaltig.
Und wie verändert der Zeitgeist die militärische Arbeit konkret?
Junge Crews sind mit digitalen Systemen aufgewachsen, für sie ist das selbstverständlich. Erfahrenere Piloten bringen Stressresistenz und Vergleichserfahrung mit. Im Cockpit muss das auf Augenhöhe zusammengehen. Ich sage immer: Wenn ich ins Cockpit steige, lege ich meinen Dienstgrad ab. Fehler darf sich niemand leisten, egal ob General oder Unteroffizier. Auch die zivile Technik verändert das Umfeld. Autonome Systeme wie Mähroboter oder Kasernenüberwachung setzen wir bereits auf Flugplätzen ein. Starke Laserpointer aus dem Internet können Piloten blenden, dafür brauchen wir Schutzvisiere. Lichtverschmutzung in Städten beeinflusst Nachtsichtgeräte. Alles, was zivil passiert, hat unmittelbare Folgen für das Militär. Und, mit dem Lernen ist es in der Militärluftfahrt nie vorbei.
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