Die Carl-Cranz-Gesellschaft (CCG) veranstaltete kürzlich in Wien ein mehrtägiges Seminar zur Ballistik der Handfeuerwaffen. Die Lehrabteilung Waffentechnik der Heereslogistikschule des Österreichischen Bundesheeres war Gastgeber für die aus dem ganzen DACH-Raum angereisten Teilnehmer. Auch Militär Aktuell war mit dabei.

Im Seminar „Ballistik der Handfeuerwaffen – Schwerpunkt Präzisionswaffen” fanden unter der wissenschaftlichen Leitung von Armin Zotter, international tätiger Sachverständiger für Ballistik, vier Tage lang Fachvorträge statt. Die Vortragenden spannten einen weiten Bogen, der bei einer Einführung in die Grundlagen der Innenballistik angefangen bis zur Wundballistik in der Gerichtsmedizin reichte.

©Militär AktuellArmin Zotter bringt es in der Eröffnungs-Keynote auf den Punkt, worum es in der Ballistik geht: „Das Geschoss fliegt aus dem Lauf und trifft – im besten Fall – im Ziel ein. Damit es aber soweit kommen kann, muss einiges zusammenpassen.” Sowohl Pulverkorngeometrie als auch der Pulverabbrand und die Maximaldruckabstimmung einer Ladung müssen stimmen, ebenso wie viele weitere Faktoren auch. Schnell wird klar: Man sitzt hier in keinem Wiederladerseminar für Laien. Gut so!

Mit fachlicher Kompetenz führen auch alle anderen Vortragenden durch das Seminarprogramm. Die aerodynamischen Kräfte, die auf das Geschoss wirken, diskutierte Friedrich Leupold im Vergleich von Modellberechnungen und Messungen von tatsächlichen Realschüssen.

Die schwierige – und widersprüchliche – Studienlage zur Frage, ob Schalldämpfer nun die Präzision verbessern oder verschlechtern, beleuchtete daraufhin Robert Hruschka, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutsch-Französischen Forschungsinstitut ISL. Ein Ergebnis zu der Frage, das die Teilnehmenden für sich mit nach Hause nehmen konnten, ist, dass eine individuelle Messung die beste Aussagekraft hat.

Im zweiten Teil des Vortrags behandelte Hruschka die Ballistik verschiedener Pfeilgeschosse, den Flechettes. Er fand bei mancher Munitionsform eine – mit Abstrichen – passende Möglichkeit zur ballistischen Drohnenabwehr (-> Schwerpunkt Drohnen bei Militär Aktuell).

Event: Steyr Arms ATC und ATD im scharfen Schuss

Im Vortrag „Evaluierung aktueller Waffeneinsätze Schweiz” von Glardon Matthieu vom Insitut für Rechtsmedizin Bern ging es bei diesem Seminar erstmals direkt zu Tatorten, an denen Schusswaffen eingesetzt wurden. Glardon führte erst in die – nicht einheitliche – Regelung des Schusswaffengebrauchs für Polizisten in der Schweiz ein und besprach dann unter anderem anhand von Originaldaten die aufwendige Rekonstruktion von abgegebenen Schüssen in Räumlichkeiten. Ein einfacher Stiegenaufgang wird bei Schussabgaben schon zu einem komplexen Tatort.

Deutlich wurde aus dem Vortrag auch, dass die Wirksamkeit abgegebener Schüsse, nicht nur von der verwendeten Munitionsart, sondern vom Ablauf des Wundkanals im konkreten Fall sowie vom psychischen Zustand der Person abhängt.

Der Vortrag „7,62 Millimeter – ein Durchmesser, viele Kaliber” vom Munitionsexperten Bernd Krause brachte die Zuhörer wieder in die Welt ballistischer Berechnungen zurück. Anhand theoretischer Überlegungen wurde die Außenballistik der drei bekannten Kaliber 300 AAC Blackout, 308 Win und 300 Win Mag bei Verwendung des gleichen Geschosses verglichen, um den Variantenreichtum des Kaliber-Durchmessers aufzuzeigen.

Hochaktuell das Thema des Vortrags von Andreas Nehme, Geschäftsführer der Nehme Waffentechnik GbR. In „Muster und Leichtbau-Serienteile additiv gefertigt” ging Nehme auf den 3D-Druck Grundlagen und Möglichkeiten im Waffenbau ein. Bei richtiger Beachtung der Werkstoffqualitäten können komplexe und stabile Bauformen gefertigt werden. Beispiele stellte er aus den Bereichen der Schalldämpfer- und Ersatzteilfertigung ein. Auch Messerteile, wie die 3D-gedruckten Titangriffe von Ug Tools (-> Hier im Produkttest und hier Sonderlösung von Ug Tools für Behördenkunden) fallen darunter.

Der zweite Tag des Seminars wurde mit einem Besuch einer Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum abgeschlossen. Zu sehen gab es historische Waffen, darunter Raritäten wie ein Doppelstutzen M1768 im Kaliber 14,8 Millimeter, das Fallschirmjägergewehr 42 der deutschen Wehrmacht und Colt 1911 mit Magazinen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Verstecken über ganz Österreich verteilt gefunden wurden. „James-Bond-Feeling” vermittelte die Repetierpistole Welrod mit integriertem Schalldämpfer. Aus jüngeren Kriegen, in diesem Fall aus dem Jugoslawien-Krieg, wurde ein Scharfschützen-Repetiergewehr im Kaliber 50 BMG mit mächtiger Mündungsbremse ausgestellt (-> So fühlt sich ein Schuss mit Kaliber .50 an).

Am Folgetag erwartete die Seminarteilnehmer eine weitere Besonderheit im Seminar. Auf der Schießanlage Exelberg wurden zahlreiche ballistische Zielmedien beschossen. Angeleitet von der Lehrabteilung Waffentechnik der Heereslogistikschule fanden Beschüsse von Hart- und Weichballistik-Schutzeinlagen und Gelatine-Blöcken statt. Besonders war die Wahl der Kaliber: Von 5,7×28 oder 5,45×18, verschossen aus der Taschenpistole PSM, der 7,5 FK, über 7,62×39 aus chinesischer Fertigung und zahlreichen Holhspitzmunition von Behörden. Auch das Kaliber .50 BMG durfte nicht fehlen. Zusätzlich konnten noch verschiedene Pfeffersprays ausprobiert werden.

Zu sehen gab es auch einiges. Leihgaben von Austria Arms (-> Zu Besuch bei den Austria Arms Action Days) waren nicht nur für die Behördenangehörigen von Interesse. Gezeigt wurde beispielsweise ein Knights Armament LAMG mit Schalldämpfer und ein Barrett MRAD Multikaliber-Gewehr, das beispielsweise von Scharfschützen der norwegischen Armee verwendet wird. Außerdem dabei war unter anderem ein AR von LMT mit monolithischem Upper Receiver und Handschutz, das zusätzlich mit einem Schalldämpfer von Acheron bestückt wurde. Im Gebrauch ist es beispielsweise in der Schweiz, in Estland und Neuseeland. Geradezu Pflichtanwesenheit bestand für das HK 417 P, das unter anderem vom Jagdkommando und der Militärpolizei des Österreichischen Bundesheeres geführt wird.

Am letzten Seminartag standen noch einmal technische Detailfragen im Fokus der Vorträge. Fachautor Jochem Peelen ging den Eigenschaften von Unterschall-Flugbahnen nach, also von Geschossen, die etwa im Bereich der 310 bis 370 Meter in der Sekunde zurücklegen. Kombiniert mit einem Schalldämpfer geben sie einen taktischen Vorteil, der aber in ein Verhältnis mit der Wirksamkeitsgrenze auf ballistische Schutzwesten sowie mit Querwindbelastungen gestellt werden muss.

Theo Fischer illustrierte den Weg der Entwicklung und Verbesserung von Waffen und Munition unter militärischer Mitwirkung. Unterschiede zwischen der zivilen und militärischen Welt gibt es zuhauf, beispielsweise im Bereich der Normen, die sich beispielsweise einmal in der Sicherheit (zivile Norm CIP) und einmal in der Funktionsfähigkeit (militärischer Standard STANAG) zeigt. An den Beispielen der Beschaffung von Schalldämpfern – und der daran geknüpften Wahl des passenden Gewindes –, sowie der verschiedenen Normen von Montagepunkten von Zielfernrohren wird auch Außenstehenden die Komplexität des Aspekts „Beschaffung” deutlich.

Hermann Zwanzinger, Referent im Bundesministerium für Inneres (BMI), und Anton Eder zeigten die wandelnden Anforderungen bei der Dienstbewaffnung der Polizei. Rotpunktvisiere auf der Pistole würden – im Vergleich zur Stahl- oder Laservisierung – zahlreiche taktische Vorteile bieten. Nicht weniger wichtig wäre die Anschaffung von Lichtmodulen, denn immerhin fanden in den vergangenen 20 Jahren etwa 70 Prozent der Waffengebräuche bei Dunkelheit oder schlechten Lichtverhältnissen statt. Bei fehlender Ausgabe dieser Zusatzausstattung an die Beamten, käme es unweigerlich zu Problemen bei der Einsatzbewältigung, so die Vortragenden.

Das Thema Waffenanbau blieb auch im Vortrag von Sebastian Lui, Produktmanager bei B&T, im Fokus. Vor etwa 120 Jahren wurden die ersten Schalldämpfer entwickelt. Nicht nur im Design, sondern auch im Herstellungsverfahren hat sich seither einiges verändert. Additive Fertigungen bringen gänzlich neue Möglichkeiten für behördliche und letztlich auch zivile Anwender. Die Entwicklung temperaturbeständiger Schalldämpfer ist nun tatsächlich möglich.

Sarah Heinze, Universitätsprofessorin für das Fach „Gerichtliche Medizin” an der Medizinischen Universität Graz, gab im letzten Vortrag des Seminars einen Eindruck davon, was die klinische Gerichtsmedizin mit bildgebenden Verfahren über einen Tathergang berichten kann. Auch erfuhr man anhand von aktuellen Beispielen, was welche Munition auf unterschiedlichen Gewebeformen bewirken kann, wie Zwischenziele – beispielsweise Knochen – zur Veränderung der Wundballistik führen und wie schwierig für Ersthelfer die Beurteilung der Wunden sein kann.

Das Seminar war nicht nur als Fortbildungsmöglichkeit ein echter „Treffer”. Auch das Netzwerken und der Austausch wurden groß geschrieben. Bei hervorragender Begleitung durch das Heereslogistikzentrum Wien blieben kaum Wünsche offen.

Quelle©Militär Aktuell/Bendl