Heute kann man von der Autobahn die Ruinen jener Festungen sehen, die vor gerade einmal hundert Jahren zerschossen wurden. Auf Wanderungen rund um die berühmtesten Gipfel der Dolomiten, hinter den Stränden von Grado, auf dem Rilkeweg bei Duino, in der wildromantischen Flusslandschaft der berühmt türkisen Soca – überall Spuren einer Front, an der von 1915 bis 1918 wahrscheinlich weit über eine Million Menschen ihr Leben verloren und denen Autor Peter Schubert nun in seinem neuen Buch „Auf Friedenswegen. Eine Spurensuche des Krieges 1915-1918” nachgeht.
Schubert hat auf 248 Seiten Beschreibungen zu fast immer leicht erreichbaren Schauplätzen gesammelt, die entweder direkt an einer Straße liegen oder in Wanderungen bis maximal drei Stunden erreichbar sind. Entstanden ist ein Reiseführer zu Entdeckungen, zu Naturparadiesen, zu einem Weltkulturerbe, zu wenig bekannten Facetten Italiens, Sloweniens und Österreichs – und zu Schauplätzen des Ersten Weltkrieges, die auch heute noch Geschichte lebendig werden lassen.
Wir haben mit Peter Schubert über Unterschiede im Geschichtsbewusstsein in Slowenien, Italien und Österreich sowie ganz persönliche Eindrücke seiner Spurensuche gesprochen. Und wir sind der Frage nachgegangen: Wie ausgeprägt sind die Spuren 125 Jahre nach Kriegsende überhaupt noch?
Herr Schubert, es ist jetzt mehr als 100 Jahre her, dass in den Alpen Krieg geführt wurde. Wie präsent und erkennbar sind die Schauplätze der damaligen Kampfhandlungen nach so langer Zeit noch?
Das hängt davon ab, von welchem Gelände man spricht: Wo agrarische Nutzung oder Siedlungsgebiet ist, sind die Spuren meist geringer. Im Gebirge, im weniger intensiv genützten Naturraum sind Schützengräben, Stollen, Fundamente von Gebäuden erhalten geblieben, wenn auch oft teilweise verschüttet und verwachsen, Holzeinbauten sind meist verschwunden, Mauerwerk nur in ruinösem Zustand vorhanden. Am Karnischen Kamm, in den Dolomiten und teilweise auch am Karst kann man kilometerweit in Schützen- und Laufgräben gehen. Alte Wege aus der Kriegszeit sind zumindest erkennbar, von anderen Nachschubeinrichtungen wie Seilbahnen gibt es nur noch teilweise Spuren. Und auch die Natur hat sich von den Auswirkungen wieder erholt: So kommt es heute nur noch selten vor, dass Holz durch Granatsplitter in Bäumen unbrauchbar ist. Aber noch vor einigen Jahren waren manche Flächen am Isonzo, am Piave, aber auch an der ehemaligen Westfront durch Giftstoffe und Blindgänger kaum verwertbar.
Wieso ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, die Kriegsspuren von damals zu erhalten und zu pflegen?
Es handelt sich eben um Spuren der Geschichte und damit um materielle Geschichtsquellen. Da sie oft Hinweise auf das tägliche Leben des einfachen Soldaten bieten, das in der Geschichtsschreibung meist untergeht, sind sie besonders wichtig. Außerdem macht der Lokalaugenschein den Ausgang von Aktionen rasch verständlich, relativiert manchen militärischen Erfolg und zeigt manchmal sogar, dass historische Überlieferungen, wie wir sie aus schriftlichen Quellen und Erinnerungen haben, falsch sind.
Gilt es das Bewusstsein für kriegerische Auseinandersetzungen und das damit verbundene Leid gerade auch vor dem Hintergrund des aktuellen Kriegs in der Ukraine heute mehr denn je zu schärfen?
Trotz aller Änderungen in der Technik hat sich das militärische Denken oft erstaunlich wenig geändert: Das Prestige, eine Position gehalten oder eine andere erobert zu haben, ist immer noch gleich. Und am Sterben und am Leid hat sich auch nichts verändert. Und: 1914 glaubten viele, dass durch die wirtschaftlichen Verflechtungen der europäischen Staaten ein Krieg in Europa unmöglich geworden sei. Das hat sich als tragischer Irrtum herausgestellt und kann als Warnung für uns heute gelten. Andererseits war und ist gerade die Idee der „Friedenswege” von Walther und Gabriele Schaumann, nämlich gemeinsam die Spuren des Grauens eines Krieges zu erhalten und auf diesen Wegen einander besser kennenlernen zu können, ein Faktor von vielen, um den Konflikt zwischen Österreich, Italien und Slowenien zu überwinden. Als diese Idee begonnen wurde, war die Südtirol-Krise noch nicht ganz überwunden. Von der Porzescharte am Karnischen Kamm – wo noch wenige Jahre zuvor ein Attentat geschehen war – beobachteten italienische Grenzer damals noch argwöhnisch die Aktivitäten der „Dolomitenfreunde”. So ein gemeinsames Aufarbeiten der Geschichte an den Schauplätzen kann zwar sicher nicht einen Krieg beenden – aber es kann dazu beitragen, dass aus einer Nicht-Krieg-Situation Friede wird.
Gibt es eine Wanderung, eine Stelle oder eine Episode in Ihrem Buch, die Sie speziell beeindruckt und bewegt hat?
Ich war als Geschichtsstudent vor jetzt 49 Jahren das erste Mal mit meiner Frau auf den Spuren der Italienfront unterwegs – und seither immer wieder. Sicher war dieses erste Kennenlernen der Originalschauplätze etwas besonders Beeindruckendes und hat mich geprägt. Und vor wenigen Wochen konnte ich meinem 11-jährigen Enkel einen Teil des Freilichtmuseums am Plöckenpass zeigen.
Nehmen Sie Unterschiede in der Geschichtswahrnehmung in Slowenien, Italien oder Österreich wahr? Oder anders gefragt: Ist das Bewusstsein für die Kämpfe und Auseinandersetzungen und den Erhalt der Kriegsschauplätze in manchen Ländern größer als in anderen?
Das Bewusstsein darüber ist in Österreich am wenigsten ausgeprägt und etwa in Kötschach-Mauthen, dem einzigen Ort im heutigen Österreich, der planmäßig von italienischer Artillerie beschossen wurde, kaum verankert. Und das, obwohl es dort im Rathaus das Museum zur Italienfront und im Bereich des Plöckenpasses das Freilichtmuseum gibt. In Slowenien habe ich den Eindruck, dass im Isonzobereich das Bewusstsein stärker ist und am stärksten ist es wohl in Italien: Wir haben praktisch jeden Tag, an dem wir auf Recherchen für unser Buch unterwegs waren, Schulklassen getroffen, die Museen und Freilichtmuseen besucht haben. Und gerade in Italien hat sich außerdem ein riesiger Wandel im Umgang mit der Vergangenheit vollzogen, der nun eine Geschichtsaufarbeitung und eine Ausgewogenheit der Darstellung anstrebt. Dieses unterschiedliche Interesse in den einzelnen Ländern bewirkt auch eine unterschiedlich hohe Unterstützung für die Erhaltung und Erforschung der Spuren des Ersten Weltkrieges, da haben wir in Österreich sicher noch Aufholbedarf.
Hier geht es zu den anderen Beiträgen unserer Serie „5 Fragen an”.