Abseits des Ukraine-Kriegs hat in Afrika ein Wettlauf der Großmächte begonnen. Die USA, China, die EU und Russland buhlen um Bodenschätze, Sicherheit und Macht. Eine Analyse von IFK-Experte Gerald Hainzl.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat vielfältige Auswirkungen auf die globale Sicherheitsstruktur. Der Angriff sorgt weltweit für Polarisierungen, für neue Unsicherheiten und wirtschaftliche Schwierigkeiten. So auch in Afrika, wo seit Monaten viele Getreide- und Düngemittellieferungen ausbleiben, die Versorgung mit fossilen Energieträgern nicht mehr lückenlos gewährleistet ist und die Bevölkerung mit steigenden Preisen konfrontiert ist. Das sorgt für Instabilitäten und neue Unsicherheiten, die sich in ihrem Wettlauf um Einfluss und Macht nun vermehrt die Großmächte zunutze machen.
Fast wie zu Zeiten des Kalten Krieges buhlen derzeit die USA, China, Russland und die Europäische Union vom Golf von Tunis bis hinunter zum Kap der Guten Hoffnung um Einfluss. Zog beginnend mit den 2000er-Jahren vor allem China als möglicher strategischer Partner afrikanischer Staaten die Aufmerksamkeit am Kontinent auf sich, hat sich das Blatt zuletzt insbesondere im vergangenen Jahr gewendet: Ein verstärktes russisches Engagement ließ sich in Afrika zwar schon länger beobachten, rückte zuletzt jedoch noch mehr in den Fokus und parallel dazu scheint auch Washington sein Interesse am Kontinent wiedergefunden zu haben.
Russland hat sich während des vergangenen Jahrzehnts vor allem über die Wagner-Gruppe Präsenzen in Afrika aufgebaut – die Söldnertruppe dient Moskau als Platzhalter seiner geopolitischen Ambitionen. Finanziert wird das Engagement oftmals über die lokale Ausbeutung natürlicher Ressourcen, was unter dem Strich weniger entwicklungspolitischen Maßnahmen als vielmehr der Stabilisierung von russlandfreundlichen Regimen und Eliten dient. Diese knallharte und kosteneffiziente Realpolitik lässt sich an den geringen russischen Investitionen in afrikanische Infrastruktur oder industrielle Entwicklung ablesen und das Handelsvolumen Russlands mit dem gesamten Kontinent ist mit rund 20 Milliarden Euro sogar niedriger als das der Türkei oder Indiens. Die russische Politik konzentriert sich daher vor allem auf fragile und/oder autokratische Staaten wie die Zentralafrikanische Republik, Mali, den Sudan, Libyen oder in jüngster Zeit auch Burkina Faso.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow setzte bei seiner jüngsten Afrikareise auf ein neokoloniales Narrativ, mit dem er bei Teilen der afrikanischen Eliten durchaus reüssieren kann. Dass er damit kürzlich auch in Südafrika auf Resonanz gestoßen ist, wird in westlichen Staaten negativ gesehen und stellt neben einer gemeinsamen Übung der südafrikanischen, russischen und chinesischen Seestreitkräfte die politische Verlässlichkeit des Landes am Kap auf eine scharfe Probe.
Die USA dürften versuchen, ihren Einfluss über wirtschaftliche Anreize zu steuern. In diesem Zusammenhang sprachen Finanzministerin Janet Yellen im Jahr 2022 von „Friendshoring” und das Weiße Haus von „Ally- and Friendshoring”. Gemeint ist damit die Stärkung der Nachhaltigkeit von Lieferketten, weshalb diese in Zukunft vorwiegend auf befreundete Staaten ausgerichtet werden sollten. Die USA, denen während der vergangenen Dekaden ein geringeres Interesse an Afrika unterstellt wurde als anderen Akteuren, haben für 2023 offensichtlich eine echte diplomatische und politische Offensive geplant. Im Jänner war die Finanzministerin in mehreren Staaten zu Besuch und im Dezember 2022 kündigte Präsident Joe Biden im Rahmen des US-Africa Leaders Summit an, dass er 2023 beabsichtigt, den Kontinent ebenso zu besuchen wie die First Lady und Vizepräsidentin Kamala Harris.
Dass die Biden-Administration beteuert, nicht in einen Wettbewerb mit anderen Mächten einzutreten, mag zwar glaubwürdig klingen, ist aber nicht nur von den USA abhängig. Der Zugang zu den Rohstoffreserven des Kontinents ist für alle Akteure zu verlockend, lagern doch die größten Vorräte an Diamanten, Platin, Kobalt und Uran sowie zahlreiche seltene Erden, die unsere moderne Welt am Laufen halten, in Afrika.
China hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten für afrikanische Staaten als stabiler Partner erwiesen. Mit dem Forum on China-Africa Cooperation (FOCAC) wurde vor etwa 20 Jahren zudem ein Format geschaffen, das eine zentrale Rolle sowohl für bilaterale als auch multilaterale Beziehungen hat. China-Experten gehen davon aus, dass der neue chinesische Außenminister die Süd-Süd-Kooperationen mit Schwellenländern stärken möchte. Viele davon liegen in Afrika. Der Handel Chinas mit dem Kontinent erreichte 2022 ein Volumen von rund 265 Milliarden Euro und die Tendenz ist steigend, auch wenn jüngst der Afrikamotor Chinas etwas ins Stocken geraten ist. Das Land sieht sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, Kredite afrikanischer Staaten zu restrukturieren. Die Herausforderungen dabei sind vielfältig, müssen doch neben finanziellen Überlegungen auch globale und regionale Interessen in Einklang gebracht werden.
Und wo bleibt Europa? Die Europäische Union (EU) hat beim sechsten Gipfeltreffen mit der Afrikanischen Union (AU) Ziele für eine neue Partnerschaft festgelegt, deren Kern ein Investitionspaket von 150 Milliarden Euro bildet und das die europäischen Interessen in den Bereichen Migration sowie Frieden und Sicherheit berücksichtigen soll. Allerdings sind die gemeinschaftlichen Aktivitäten nur ein Teil des Bildes, auf dem die Beziehungen einzelner Mitgliedsstaaten immer öfter auf dem Prüfstand stehen. So haben sich zuletzt nach Mali auch die französischen Beziehungen zu Burkina Faso verschlechtert – in beiden Staaten mussten französische Soldaten das Land verlassen.
Aus der Sicht der meisten afrikanischen Staaten geht es aktuell vor allem darum, nicht in eine Situation zu geraten, die sie wie zu Zeiten des Kalten Krieges zwingt, sich für irgendeine geopolitische Seite entscheiden zu müssen. Es geht den meisten Regierungen vielmehr darum, langfristige Partnerschaften aufzubauen und die Anzahl der möglichen Partner zu erhöhen.
Bei allen geopolitischen Überlegungen sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die komplexen Entwicklungen afrikanischer Konflikte nicht nur von externen Akteuren abhängen. Zentristische Modelle und paternalistische Politiken werden letztendlich ebenso zu einer politischen Entfremdung führen wie eine Politik, die den Bedürfnissen der Bevölkerung nicht Rechnung trägt. Und der Übergang zu demokratischen politischen Verhältnissen kann nur von Bevölkerungen ausgehen, die sich weder von inneren Machtzirkeln noch von externen Interessen maßgeblich leiten und manipulieren lassen.